Die BVG steht in direktem Kontakt zu Gott. Und das geht so:
In Berlin ist Tauwetter, nur die Ampelschaltungen sind noch zugefroren, also gehe ich bei Rot und ganz unkategorischem Imperativ über die Kantstraße, Richtung Savignyplatz. Unter den S-Bahnbögen hat ein luxuriöses Beleuchtungsgeschäft seine Lampen aufgehängt, und als ich dran vorbeigehe, stürzt ein Verkaufspersonal auf die Straße, und ich denke schon, der nimmt mich jetzt fest. Solche Leute nehmen Lampen und Ampeln bestimmt furchtbar ernst. Ich nehme Anagramme auch sehr ernst. Aber der Herr verschwindet über knirschendes Granulat huschend irgendwo im Dekor.
Versunken in meine Innenwelt, in der zwar auch gerade Tauwetter herrscht, aber noch überall etwas schäbige Streuguthaufen herumliegen und die Ampeln noch auf Rot stehen, erklimme ich die Treppen zum S-Bahnsteig. Auf dem ersten Absatz schnorrt es mir entgegen: “Du, hasse mal ´ne Mark?” Ein Satz, der mir bekannt vorkommt. Ich bin ein geiziger Mensch, und nur sehr überzeugend getragene Lumpen können mir Maut entlocken. Ich schaue auf, sehe Dock Martins, Levi´s und eine schön aufgeblähte Bomberjacke. Gesamtetat also so um die 600 Schleifen.
Ich beschließe, daß ich heute mal die Mark nicht hasse.
Aber ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht, -bzw. ohne den zweiten Eindruck. Denn das Puzzle aus Klamotten ergibt ein sehr hübsches und sogar ziemlich schönes Mädchen, das sich feingliedrig und haargenau in mein Triebschema eingliedern läßt.
Hin- und hergerissen in dem Spannungsfeld von Geld, Geiz, Liebe auf den ersten Blick, Kategorischem Imperativ und psychischer Tiefensauerei krame ich mein Portemonnaie hervor und linse halb ins Kleingeldfach, halb in das schöne Gesicht. Bis hierhin also mehr oder weniger Liebe. Sehe dann aber nur ein Fünfmarkstück, und von nun ab Geiz: “Nee, sorry!” “Schade!” Sie lächelt, meine Knie jetzt Camembert jenseits der Reifeempfehlung. “Kannse mir denn ma´ sagen, wie spät es is?”
Hätten meine inneren Ampeln auf Grün gestanden, hätte ich es bestimmt geschafft, uns beide noch über die Straße in die nächste Bar zu verfrachten. Ganz bestimmt. Aber es steht ja noch alles auf Rot, hier & da liegt auch noch ein bißchen Schneematsch rum, und ich leg mich ziemlich auf den Arsch: “Du, ich hab auch keine Uhr. Ich hab´ eigentlich so ziemlich gar nix… ” “Naja, ´n schönen Tag wünsch ich dir dann noch…” Ich gehe drei Stufen höher, sehe auf die Bahnsteiguhr, und da Dämlichkeit ein Spiel ohne Grenzen ist, drehe ich mich noch einmal um: “Is´ übrigens fünf nach drei.” “Hmm, danke.” Sie lächelt immer noch.
Ich aber habe in meinem Leben zu viel Tarzan geguckt, wende mich ab, greife nach der Liane und schwinge mich in die nächste S-Bahn. Ohne Fahrschein. Hier sitze ich nun und entwickele in Sekundenschnelle einen persönlichen Voodookult: “Du Volldödel. Wie kann einer so definitiv nicht aus dem Arsch kommen. Aber eine Chance geb´ ich dir noch, du Laffe: Wenn du jetzt kontrolliert wirst, läßt du dich auf den Bahnsteig mitnehmen, gibst deine Personalien ab, steigst in die Bahn in entgegengesetzte Richtung und singst der Hübschen die Minne.”
Die Türen schlagen zu, und die mir schräg gegenübersitzende Oma erhebt sich. Grauer Parka, Hornbrille mit dicken Gläsern, Popelinehose und was Abgeschlurftes von Deichmann oder André an den Füßen. Sie räuspert sich etwas schüchtern, na klar, der geb´ ich jetzt meinen Fünfer zur Buße…
“Darf ich bitte Ihre Fahrscheine sehen?”
60 DM. Das Wort Bußgeld hat für mich nun eine ganz neue Dimension.
Der Oma empfehle ich auf diesem Wege, sich bei der UNO-Waffenkommission zu bewerben. Eine Frau mit der Tarnung sollte ihre Karriere nicht auf das Berliner S-Bahnnetz beschränken. Mit einer Mikrokamera in einer Aldi-Tüte könnte sie sämtliche Präsidentenpaläste Saddams ungesehen nach biochemischen und atomaren Waffen durchleuchten. Der Ami könnte seine Flugzeugträger wieder in der Schweinebucht parken, und im Golf kehrte endlich Ruhe ein.
In welche Richtung ich nun weitergefahren bin?
Na, raten Sie mal.