Stephan Maus

Steffen Kopetzky: ‘Einbruch und Wahn’ (junge Welt)

Stoned! Steffen Kopetzkys Roman “Einbruch und Wahn” (junge Welt, 29.06.98)

Eene, Meene, Miste…

Verriß oder Lob? Schwierig! Und das ist ja schon mal ein gutes Zeichen. Der Plot: Junger Philosophiestudent liebt junge Frau. Die Frau treibt ab, das Paar trennt sich. Der junge Mann zieht von München nach Berlin, fühlt, denkt und trinkt: sein Job. In seine Wohnzimmerfensterscheibe fliegt ein Stein, durch den Splitterkranz kommt eine Hand und verschwindet mit einem Telefon-AB-Faxgerät in die Nacht. Ins Wohnzimmer weht eine scharfe Brise Außenwelt, der Philosoph Krampas fröstelt und in ihm ist ein Krampf. Er bezieht eine neue Wohnung, legt sich den Meteoriten auf seinen Schreibtisch, denkt und schreibt sich an ihm wund.

Im Winter gefrieren die Handtücher im Bad, im Sommer buddeln Hunde mysteriöse Tunnel in die Hasenheide, Krampas findet sein Telefon-AB-Faxgerät wieder, deckt eine Trödelverschwörung auf, wirft den Stein in sein ehemaliges Wohnzimmerfenster und führt zurück nach München. In seinem Steinprotokoll fehlt noch ein Satz, er entkorkt eine Pulle aus Papas Rotweinsammlung und schreibt den Satz nieder: „Der Berg des Nordens ist eine Fiktion.“ Der aus ihm gebrochene Stein also auch irgendwie, alles eigentlich, alles, alles. Ein runder Stein.

Der stotternde Rhetor Demosthenes trainierte sein launisches Sprechwerkzeug, indem er mit einer Handvoll Kieselsteine im Mund redete. Kopetzkys Held käut seinen Stein denkend wider, auch eine rhetorische Übung. Stein, wo kommst du her, Stein was willst du mir? Das symbolische Geröllfeld, das der Stein ins Rutschen bringt, ist weitläufig: Stein des Weisen, alchimistischer Meteorit, mineralisierte Lebensläufe, Fragment aus dem Steinbruch des Nordberges (jener Achse eines antiken Weltbildes, für das der Prosa-Hipster Arno Schmidt mit seiner Erzählung Kosmas geradestehen muß. Wo´s schon um die Weltenachse geht!), philosophischer Stolperstein, Grundstein zum Tempel Salomons, Emblem freimaurerischer Weltverschwörung, stendhalsche Kristallisation, Ton, Steine, Scherben und Marmorstein und Eisen bricht.

Der Einbruch: Ein ballistischer, kriminalistischer und existentialistischer. Ein Zitat von Hegel gibt dem Buch den Kammerton, und so hören sich dann auch erst mal die Sätze an: „Die Gestalt ist das Geschenk der Information, des in Form gebrachten, informierten Materials an die Form …“ Es gibt Leute, die -zky bedingungslos mögen, weil er die Kongruenz des substantivischen Attributs in Kasus, Genus und Numerus so gut kann. Mir geht ein solcher Satz a priori auf den Keks, den bröckeligen. Der Prolog liest sich für das überraschte Gehirn, als hätte ein übermüdeter Unterprimaner seinen Tacitus noch eben im Schulbus übersetzt, fahr mal langsamer, Alter! Und dann so trendy Pret-à-Porter-Überzieher: „Vielleicht sind wir die zwei aneinandergeschmiegten Flächen eines Möbiusbandes, zwei Stränge eines Wirbels - zwei Seiten einer Figur, deren Gestalt wir beide nicht kennen.“ Ja, vielleicht. Vielleicht sind wir aber auch Rumpelstilzchen und essen zum Frühstück ein getoastetes Mandelbrot.

Und einem Autor, der mir mit Thomas Mannschem Schabernackgrienen zwischen den Ohren eine Type als „unser jugendlicher … Held“ präsentiert, möchte ich diese Type erst mal um die Ohren hauen: Dein Held ist das! Your god damned fuckin´ hero, ya know, boy. Mit dem hab ich nach fünf Seiten noch nix am Hut! Aber nachdem Kopetzky den spooky Spokus von ((Autor + Figur)2 geteilt durch Wurzel aus Erzählsituation) in einem fünfzehnseitigen Prolog abgehakt hat, wird die Sache … nun ja … sehr gut.

Anfangs findet man es noch befremdlich, daß ein Hausmeister ein „ordnend beschäftigter Mann“ sein soll. Und warum läßt Kopetzky die setzend beschäftigten Männer das Wort Handtuchhalter kursiv hindrucken? Weil sich der Weltgeist da zum Trocknen drüberhängt? Aber das Ungleichgewicht der Kräfte zwischen einem rhetorischen Großkaliber und einer spatzenbanalen Welt gewinnt schnell etwas Komisches. Vor allem, wenn es um die phänomenologische Erschließung eines Sicherungskastens, eines russischen Hausmeisters oder eines schlecht temperierten Duschstrahls geht.

Kopetzky geht trickreich auf Distanz zu seinem Hubba-Bubba-Stil, indem er ihn einer schwer aus der Bahn geworfenen Figur in den Mund legt, die nun ungehemmt große Blasen blähen darf, ohne daß man es ihr übelnimmt. Daß die Dinger dann hin & wieder zerplatzen und wenig kleidsam im Gesicht kleben, gehört zum Spiel. Selbstironie ist charmant und entschuldigt alles. Kopetzky grinst hinter der Maske Zorns hervor, einer Figur, von der es heißt: „Viel zu gut angezogen, um ein wirklich intelligenter, denkender Mensch sein zu können.“ Das genießt man, wenn man auf den Schutzumschlag schaut und einen Autor sieht, der mit seinem Buch scheinbar an die Frankfurter Wertpapierbörse will.

In den Passagen über Zorn schreibt Kopetzky seine eigene Stilkritik. Kopetzky ist ein höflicher Autor, grüßt seine Verlagskollegen Schramm ( „… ein Abend im April, sanft und jenseits jeder Mechanik.“) und Brussig. Bei Volk & Welt herrscht anscheinend gute Stimmung. Ein Shout-out to DJ Nabokov: „Gelächter im Halbdunkel.“ Und bald mag man sogar so Sätze wie: „Die Landschaft wollte sich ohne Rücksicht auf ihr Subjekt in das vertikale Extrem stürzen.“ Na dann, Glück auf, Landschaft!

Krampas´ Wahrnehmung sucht das System. Bei dem Mann heißt nichts Ast oder Wolke, sondern immer gleich Geäst und Gewölk (wahrscheinlich Kopetzkys Lieblingswort). Weiter: Gewirk, Gestirn, Gesimse, Getier, Geblitz, Gefels. Wo man hinguckt: allumfassendes Gewusel, universelle Geschaftlhuberei und immer hektischer pulsierender Grozusammenhang. Auch das bleibt plausibel aus der Perspektive eines Erzählers, der nach einer zernudelten Beziehung akuten Beziehungswahn entwickelt und die gesamte Welt als Intrige begreift. Da verwuchern selbst Zweige zu verschwörerischem Gezweig. Daß Sätze aus einem solchen Gemüt nicht in durchsichtiger Syntax daherkommen können, leuchtet ebenfalls ein: Schachtelsätze für Schachtelhirne, Hypotaxe für Hyperästhesie, Hyperbel für Hypersensible. Wird schon stimmen.

So könnte man auch den Hang zu philosophisch Abdriftendem als symptomatisch für die Wahrnehmungsverkrümmung einer Figur lesen, die verbissen versucht, Sinn in einen drei Nummern zu weiten Gesamtzusammenhang zu pumpen.

Kopetzky liefert gleich zu Anfang ein Bild für die Akustik eines Treppenhauses, das sich auch auf den Schädelklangkörper seines Helden und den daraus entspringenden Stil anwenden läßt: „…es ist wie im Hochgebirge, eine Wand von Echos, Felsge - (sic!) - wändern und Schluchten, in denen nicht der kleinste Kieselstein in die Tiefe stürzen kann, ohne nicht ein rollendes, durch die Brechung unaufhörlich wieder auf sich selbst zukommendes Geräusch zu hinterlassen.“

Die konsequente Verunglimpfung von Dosenbier zugunsten von Rotwein in diesem Buch kann und will mir allerdings - Einbruch hin, Wahnsinn her - nicht gefallen. Und einmal lügt Kopetzky: die bunten Wurfsendungen der Kohlenhändler. Ich habe zufällig genau 12 Flyer verschiedener Kohlehändler der Bundeshauptstadt auf meinem Schreibtisch: allesamt schwarz-weiß! Wegen Hegel und phänomenologischer Er-Gründung bzw. künstlerisch-typographischer In-Formierung respektive Mimesis unserer Umwelt nämlich: Die kohlschwarze Spur (tracé) der Welt auf dem blütenweißen Träger der Schrift (support de l´écriture; siehe Derrida).

Dafür ist Kopetzky ein beachtenswerter Hinterhofspezialist. Außerdem gibt es einen Satz, den ich mir für meinen nächsten Beischlaf merken will: „…‘ich komme’, ruft Dionysos, der Fremde aus Thrakien, und läßt die Tragödie beginnen.“ Und wie angenehm, daß hier jemand, dem die Liebe den Bach runtergegangen ist, nicht larmoyant rumschnuffelt, sondern in einen inspirierten Wahnsinn kippt. Spekulation als Therapie. Wenn mir die Liebe flöten geht, werd ich halt zum Steinbeißer.

So viel ist vom Stein die Rede, daß man dem Buch wohl am besten mit einer geologischen Metapher beikommt. Der Roman setzt sich zusammen aus einer Stratifikation von Stilen: treffende und komische Portraits, in denen man sich Kopetzky als einen Saint-Simon der Kulturschickeria vorstellt, eine schöne Inszenierung der Entstehung einer Freundschaft auf einem Friedhof, ins Quadrat gepitchte Superlative („vollkommenste Extreme“), lustig kreiselnde Tiraden, etwas zu gartenzwergige Putzigkeiten (eine Plastiktüte saß behaglich auf einem ausrangierten Sessel und warf übermütig Orangenschalen auf den Asphalt), aberwitzige Paranoia-Ausbrüche, 4711-Erfrischungstüchlein („Die Frauen … öffnen sich blütenartig, der Nektar traumloser Erfrischung und Verzauberung“), expressionistische Marotten (pfützende Wasser, verwölkte Streuung, blaukreißendes Geblitz“), geschwätzige Nudelholzphänomenologie, philosöphelnde Tete-à-tetes mit Raum, Zeit, Ding & Buttermilch, ein ulkiges Referat eines Unternehmensberaters im philosophischen Seminar, weit ausholende, erzählerisch elegant weitergesponnene Metaphern, ironisch gebrochen von direkt folgendem Comic-Kommentar („Gluck!“), Pretiosen aus Omis manieristischer Truhe („bemüßigt, „unterdes“, „inskribiert“), Überraschendes aus Peter Moosleitners interessantem Wissenschaftsmagazin („Orbital , Kinetik , ellipsoid, impulslogisches Geschehen“), Doofdeutsch („auszudifferenzieren, höchst fatal, standardmäßig“) und sehr ergreifende Passagen.

Der Reiz an unzuverlässigen, wahnsinnigen Erzählstimmen besteht darin, daß sie einen hellwachen, zuverlässigen Leser fordern. „Denn irgendwann zerbarst El Dorado - die goldene Wirklichkeit ist nur in solchen in den Blöcken des Materials verborgenen Splittern aufzufinden, in schwarzrußig getarntem Gestein schlummernd.“ Einbruch und Wahn ist kein monolithischer Block, sondern ein bröckelig heterogener Prüfstein für das in Alarmbereitschaft lauernde Stilempfinden.

Eene, Meene, Muh: Lob!


Steffen Kopetzky: Einbruch und Wahn, Verlag Volk & Welt, Berlin 1998, 256 S, 34 DM