Stephan Maus

Jürgen Roth/Kay Sokolowsky: ‘Wer steckt dahinter?’ (Hessischer Rundfunk)

Die 6-Ämtertropfen-Connection. Jürgen Roth und Kay Sokolowsky als Verschwörungstheortiker (Hessischer Rundfunk, 16.12.1998)

Der spitze Dolch im weiten Brokatgewand, das Tuscheln hinter dem nervös gehenden Fächer. Und was sind das für Muster auf dem Fächer, all diese ineinander verschlungene Zeichen, ein Code der Arabesken, der in bedeutungsvollem Takt auf & ab geht. Die Loge, die Firma, das Kartell! Ein Pfund weichgekochte Spaghetti verkleben, verknoten sich, pappen und hängen irgendwie zusammen: „Verschwörung!“ schreit der Beziehungswahnsinnige. „Zu wenig Öl im Wasser!“ entgegnet der Aufklärer. Richard Herzinger wußte: „Verschwörungstheorien aufzustellen macht Spaß und hält den Denkapparat in Gang.“

Das Taschenbuch „Wer steckt dahinter? Die 99 wichtigsten Verschwörungstheorien“ gönnt sich und uns diesen anregenden Spaß und zeichnet einige reizvolle Theorien nach oder entwickelt neue. Hinter der Unternehmung steckt das Autorenduo Jürgen Roth und Kay Sokolowsky. In 22 Beiträgen klopfen sie im Verbund mit den Gastautoren Tom Wolf und Jörg Schröder die unterschiedlichsten Komplotte ab. Sowohl die klassischen Fälle wie JFK, Barschel und Lady Di als auch die Verschwörungen des Wetters und des Kosmos´ insgesamt. Wenn schon, denn schon. Der Buchumschlag zeigt eine Zeichnung aus der TITANIC, und der Fahrtwind des endgültigen Satireluxusliners weht auch hier. Es ist ein komischer Genremix entstanden, in dem ein Essai neben einer Ode oder einer dialogisierten Zitatcollage steht. Am wahnwitzigsten ist der Gastbeitrag des Verlegers und Querfeldeinerzählers Jörg Schröder, der seine Berichte aus der Literaturszene als fortlaufende Chronique scandaleuse im März Desktop-Verlag anbietet. Nur zu empfehlen.

Ein Bonmot von Borges abwandelnd, könnte man sagen, daß Verschwörungstheorien ein interessanter Zweig der fantastischen Literatur sind. Konspirationen üben einen ästhetischen Reiz aus, alles steht miteinander in Beziehung, ist nicht mehr nur trübe vor sich hinschwappende Suppe, sondern hochorganisiertes Geflecht. Aber leider sind Komplotthesen auch gegenaufklärerisch und antimodern, jawohl. Sie pusten geheimnisvoll Mauschelndes in die meist sowieso nur graue, graue Welt. Im günstigen Falle sind sie dann Opium für´s Volk respektive Molle mit Korn für den Stammtisch, im ungünstigen der Schaum vor´m Maul des Rassisten, der hinter allem eine vermeintliche zionistische Logenwirtschaft wittert. Die Autoren stellen beide Aspekte der Verschwörung heraus: Das Komplott als ästhetisches Vergnügen oder als kollektive Paranoia.

Komisch sind alle Verschwörungstheorien, aber bei manchen bleibt einem eben das berühmte Lachen im nicht minder renommierten Halse stecken, bzw. gefriert einem das wortwörtliche Lächeln im sprichwörtlichen Gesicht. Der Erste Generalquartiermeisters der Obersten Heeresleitung, Erich Ludendorff, und seine Gattin Mathilde zum Beispiel hatten schon einen erstaunlichen konspirativen Wackelkontakt im Oberstübchen, der diese und ähnliche Köppe aber eben auch in einem recht gespenstischen Lichte zeigt. Der abstruse Wirrkopf wird zur symptomatischen Figur einer durchgedrehten Gesellschaft, die an Realitätsverlust leidet.

Sokolowsky und Roth unterzeichnen ihre Texte nicht. 20 Beiträge bleiben also anonym! Wer steckt dahinter? Auf Seite 180 wird das Geheimnis gelüftet. Vorsicht ist natürlich geboten bei unserem Thema, aber augenscheinlich ist es Roth, der hier schreibt: „Da gebe ich lieber an Herrn Sokolowsky.“ Von nun an ist also alles klar: Stilistisch sind die Autoren gut zu unterscheiden. Roth formuliert am konspirativsten: Seine Sätze verzweigen sich zu struppigem Unterholz, Adverbien verwuchern das Gesamtbild, ein Paradies für die semantische Guerilla, schlängelnd verschwindet der rote Faden im Maquis, Nebensätze untergraben geradezu die Hauptsätze, zerschlagen sie, ja, versuchen sie global zu kippen, es ist eine wahre und mindestens allumfassende Hauptsatzumstürzung im Gange, wirklich allerunübersichtlichst sind diese Nebensatzmachenschaften mit ihren Adjektivgerinnseln, bedrohlich ist ihr Wirken und geheimbündlerisches Gebaren im Dickicht der Kommas oder Kommata, als Zitat und Gegenzitat camouflierte Verwirrungseinschübe treiben die Revolte voran, Semikolonbarrikaden schichten sich auf, all das Geschlinge windet sich in regelrecht spasmischen Semikoliken, und hinter der vorgehaltenen Hand der Klammer flüstert und raunt die Ergänzung. - Sorry, das Bild mit der Klammer habe ich geklaut. Von Arno Schmidt. Was nun aber nicht erklärt, warum Jürgen Roth haargenauso wie Eckhard Henscheid schreibt. Steckt der letztlich hinter allem? Die Sechsämtertropfen-Connection…

Ebenso verdächtig, daß mir der Verlag Kiepenheuer und Witsch gleich drei Rezensionsexemplare an zwei verschiedene Adressen geschickt hat und als Give-away oder gar als Zeichen noch ein Buch über die -: Toten Hosen! mit dem Titel „Bis zum bitteren Ende…“, das hiermit erreicht wäre.


Jürgen Roth/Kay Sokolowsky: Wer steckt dahinter? Die 99 wichtigsten Verschwörungstheorien, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998, 304 S., DM 19.90