Stephan Maus

Amelie Fried: ‘Der Mann von nebenan’ (FAZ)

Frau Athletin bläst auch gern die Flöte. Ein Frauenkrimi von Amelie Fried (FAZ, 15.04.00)

Das Scheidungsopfer Kate Moor zieht mit ihrem Sohn Samuel auf´s Dorf, denn in der „abgasgeschwängerten“ Stadt ist es immer so laut und der Sternenhimmel kaum zu sehen. Außerdem hat Kates Gedächtnis keinen Katalysator und verschmutzt alle Straßenzüge mit schmerzlichen Erinnerungen an ihren Ex. Und Erinnerungen geben Kate „einen Stich“ und machen sie frösteln. An der frischen Landluft, zwischen Trachtenjoppen und den „vielversprechend gewölbten“ Krachledernen der Dorfburschen, will sie ein neues Leben beginnen.

Der Sohn hat Dreadlocks, die Hauskatze Schnurrhaare, und wenn sich alle wohlfühlen, geht ein Zittern durch´s Haar. Aber Kate ist ehemalige Hindernisläuferin, und die Vorsehung hat noch einen stattlichen Hürdenparcours für sie in petto. Ein anfangs zuvorkommender Nachbar namens Mattuschek stellt sich bald als lüsterner Vorgarten-Psychopath heraus, der bei Mondschein über den Komposthaufen gebeugt gesalzene Nacktschnecken seziert und in Kates Badezimmer stiert. Die Dorfidylle wandelt sich zur Vorhölle, am Waldsaum wird gemordet und vergewaltigt. Aber wofür hat man Freunde? Mattuschek muß weg. Kate verbündet sich mit anderen geschädigten Nachbarinnen zu einer Widerstandsgruppe unter dem spiritistischen Regiment der Eso-Hexe Malise, und mit vereinten Kräften und einem Wagenheber schicken sie Mattuschek zum Teufel. Frauen, wehrt Euch!

In verschiedenen Talk-Stadln hat sich Amelie Fried den Virus des vulgärpsychologischen Gefasels eingefangen und muß nun schreiben wie Tante Kummerkasten: „Erst in den letzten Monaten war ihr klargeworden, wie verzweifelt sie sich an ein Wunschbild geklammert hatte, das der Wirklichkeit nicht mehr entsprach.“ Groß ist in Kates Familie die Unfähigkeit zu trauern: „Kate war sicher, daß Samuels abweisende Art eine Form der Trauer war. Sie wußte nicht, wie sie damit umgehen sollte.“ Nur der Pudding hört ihr Seufzen. Schnell wird einem da der eigene Kopf zur Schweinebucht: „Die Blockade war da. In ihrem Kopf.“

Gegen Blockade hilft Blockflöte. Und glücklicherweise ist die ehemalige Athletin mittlerweile freiberufliche Flötenschnitzerin. Nur die heilende Kraft der Blockflöte bringt kurzfristig Ruhe in die gärende Frau Moor. In seelisch gar zu vertrackten Situationen darf sie allerdings nicht an ihren Flöten schnitzen, denn „unweigerlich würde Kate die Mißklänge ihres Befindens in die Seele des Instrumentes implantieren.“ Am besten, man implantiert seine Seele dem Instrument direkt nach einer erotischen Nacht mit einem stoppelbärtigen Weltenbummler, der auf der Durchreise kurz seinen Seesack neben dem Sofa abgeworfen hat: „Später am Tag wußte Kate plötzlich, daß der Moment gekommen war, die Flöte zu stimmen.“

Amelie Fried ergänzt die Neue Empfindsamkeit durch eine Neue Plötzlich-, ja Urplötzlichkeit. In dem kleinen bayerischen Dorf bricht ständig irgend jemand „plötzlich“ durch die Buchsbaumhecke, materialisiert sich „plötzlich“ neben der Hollywood-Schaukel, tippt einem „plötzlich“ von hinten an die Schulter, und „plötzlich“ hat man einfach mal Lust auf Himbeer- statt auf Brombeermarmelade. Dann zerreißt „ein gellender Schrei die Nacht“, bzw. „die klare, kalte Winterluft, wütend und schmerzerfüllt“, bzw. „die vom Feuer gespenstisch erhellte Nacht“. Das Leben ist ein einziges hysterisches Abenteuer.

Bei all der kriminellen Aufgeregtheit bleibt Frieds Sprache so bieder und spießig wie das Reihenhauspurgatorium, das sie zu karikieren versucht. Gutgelaunte, aber stereotype Phrasen stehen wie Gartenzwerge mit Seriennummer im Text herum: Sonnenstrahlen kitzeln, braune Augen schenken warme Blicke, und im Kopf dreht sich ein Karrussel. In Frieds Kirmes-Gemüt regiert die selige Niedlichkeit, da hilft alles Morden und Vergewaltigen nicht: wenn Katzen sich strecken und gähnen, sieht das „ungemein putzig“ aus, windschiefe Natursteinhäuser klammern sich an die Hügel und Momente großer Zärtlichkeit sind zwar „sternschnuppenselten“, aber dann um so wundervoller.

Erotik gibt es hier nur durch den Weichzeichner, doch dann schimmert sie in den verführerischsten Farben: „Im fahlen Licht der Morgendämmerung glänzte seine Haut silbern, als er sich über sie beugte und begann, mit der Zunge über ihren Körper zu wandern.“ Und klammern sich dort nicht auch windschiefe Natursteinhäuser an ihre mondbeschienene Brüste? In manchen Ecken des Textes finden sich lose Verhaue, die nur noch mühevoll durch ein paar Bindestriche zusammengehalten werden: „Trauerte sie überhaupt Bernd nach oder nur dem Zustand des Verheiratetseins, des Wissens-wohin-man-gehört?“ Sprachliche Unbeholfenheit und Formulierungsdrang verbinden sich zu East-Coast-Kitsch: „Unter der Have-a-nice-day-fröhlichen Sonne Kaliforniens verglüht ein Traum.“ Hin und wieder leistet sich Fried jene kokettierende Flapsigkeit, mit der die zukünftige Schwiegertochter beim ersten Familienkaffe ein bißchen modernes Selbstbewußtsein signalisieren möchte: „Sex war einfach Scheiße.“ Die Schwiegermutter in spe nickt verständnisvoll; etwas forsch, aber eigentlich ganz nett, die Kleine. Und wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Das Ganze soll ein „Frauenkrimi“ sein. Wer nun glaubt, daß dieses Genre eine Mélange aus der Witz- und Horoskopecke moderner Frauenzeitschriften, aus Gesprächs-Leitfäden für Paartherapeuten und neuer deutscher Geschlechterkomödie bezeichnet, liegt völlig richtig. Die Geburt des Romans aus dem Geiste des humorigen Kofferraum-Stickers „Ich bremse auch für Männer“. Die lahme Story wird von einer vorhersehbaren Dramaturgie der fortschreitenden Eskalation getragen. Hilflos versucht Fried, so etwas wie Spannung aufzubauen, indem sie ihrer Hürdenläuferin anfangs erst einmal eine zerstochene Leiche vor die entsetzten Füße wirft. Von da ab geht also ein Mörder im Dorf um. Es folgen noch zwei, drei Vergewaltigungen. Aber die Morde und Vergewaltigungen werden kaum weiterverfolgt oder einfach in einem Nebensatz irgendeinem Bauern aus der Peripherie des Dorfes und des Textes angehängt. Manches könnte Mattuschek gewesen sein, manches nicht. Egal. Stolpernd absolviert Fried ihren erzählerischen Hürdenlauf, wirft einfach ein paar Hindernisse um und läßt sie desinteressiert liegen. Hauptsache, die vier Frauen kommen irgendwie mit ihrem Mord an Mattuschek durch die Zielgerade und der Leser bleibt ihnen halbwegs auf den Fersen.

Es gibt sehr genau kalkulierte Krimis. Hier liest man schlicht ein gut durchkalkuliertes Marketingprodukt: Promi schreibt Krimi. Amelie Fried hat aus allen auf dem aktuellen Bestseller-Markt erhältlichen Ingredienzien ein konkurrenzfähiges Produkt zusammengeschustert. Dabei ist Clarissa Pinkola Estès mit ihrer „Wolfsfrau“ nicht nur die Urmutter der Eso-Hexe Malise, sondern auch spiritueller Kraftquell, aus dem sich die vier Erinnyen für ihren hysterischen Rachefeldzug gegen Mattuschek stärken. Noch das schlechteste Buch kann den Charme surrealistischen Nonsens entwickeln und durch die Absurdität seiner Sprache faszinieren. Die einzige Chance alberner Bücher ist es, konsequent albern zu sein. Die Surrealisten fanden Gefallen an Fantomas-Heftchen, Arno Schmidt widmete Karl May Hunderte von Seiten. Pulp und Trash können eine ganz eigene Poesie entwickeln. Frieds Vorgarten-Terror hätte in ein amüsantes Bavarian Chain-Saw-Massacre münden können. Doch Amelie Fried wollte mit ihrer sanften Spießigkeit und ungemeinen Putzigkeit einfach nur problemlos und zum dritten Male auf den Zug der a bisserl ungezogenen Frauenbücher aufspringen, ohne sich dabei groß den Fuß zu verstauchen.


Amelie Fried: Der Mann von nebenan. Roman, Heyne, München 1999, 320 Seiten, 36 DM