Uriella, irgendwie. Stefan Beuses Debüt-Roman “Kometen” (NZZ, 28.06.00)
1997 veröffentlichte Stefan Beuse eine Geschichtensammlung mit dem Titel “Wir schiessen Gummibänder zu den Sternen.” In seinem ersten Roman schiesst nun der Kosmos zurück. Vom Rande des Universums rast der Komet Hyakutake in Richtung Erde. Beuse observiert in einem erzählerischen Modellversuch zwei Dutzend Personen, deren Schicksalsvektoren sich im Magnetfeld des nahenden Asteroiden neu ausrichten, krümmen und kreuzen.
Wurden Anfang des 20. Jahrhunderts die Autoren von den modernen Metropolen zu überraschenden Verknüpfungen von Schicksalsfäden inspiriert, erliegen sie heute der Faszination des Internets und horchen konzentriert auf die Musik des Zufalls im globalen Dorf. Im Zentrum der Beuseschen Figurenanordnung steht Marie, die mit E-Mails die un-wahrscheinlichsten dramatischen Wendungen provoziert. In kurzen Erzählblöcken oder Short Cuts zeigt Beuse immer neue Personenkonstellationen. Die Menschen umkreisen einander wie Planeten und unterliegen einer Gravitation des Fatums und der Gefühle. Der Makrokosmos des Romans ist kunstvoll organisiert; Leitmotive verzahnen die Erzählsplitter, scharfe Schnitte sorgen für kontrastreiche Effekte. Betrachtet man die Personen als Spielbälle ihres Autors, so erscheinen ihre Laufbahnen so elegant choreographiert wie eine gute Billardpartie.
Dem Mikrokosmos des Textes fehlt diese Eleganz. Schon die Leitmetapher von Menschen als Asteroiden greift nach dem goldenen Schlüssel zum Poesiealbum. Stilistisch bewegt sich Beuse auf der Umlaufbahn des Kitsches, umkreist von rührenden Putzigkeitstrabanten wie Clowns, Schmetterlingen und Murmeln. Auf 160 Seiten gibt es so viel grosses Gefühl wie sonst nur auf Horoskop-Doppelseiten. Die Psychogramme der kometenfühligen Sternenkinder lesen sich wie Protokolle einer Séance bei Mme Teissier. Hyakutake soll ein Schlaglicht auf existentielle Mysterien werfen, doch ausser einer ständig behaupteten „Seltsamkeit“ ist da nichts. Der Refrain des Textes ist „irgendwie“. Wie bei Nena, „irgendwo, irgendwann“.
Beuses Sternenstaubgolems haben ein Flackern in der Seele und implodieren fast vor Einsamkeit und Sehnsucht auf ihrem Ego-Trip. All ihre Gesten sind im neunten Monat bedeutungsschwanger. Im Dauerregen laborieren sie an baudelairschem Vague dans l´âme; vorsichtshalber mit hochgeschlagenem Mantelkragen. Manchmal merkt Beuse, was für eine schaumig-irisierende Soap er da inszeniert und ironisiert ein wenig. Aber nur, um schnell wieder Regentropfen in Tränen fliessen zu lassen, salzige Sterne am Nachthimmel unserer Trauer. Unterschwellig predigt er eine Mischung aus Animismus und Zen und lässt Ying und Yang kreiseln, bis einem schwarz vor Augen wird.
Die Natur jedoch ist schön grün und raschelt. Ein nackter Amerikaner streichelt im Mondschein Bäume, eine Frau tritt als Waldgeist auf und verströmt erdige Gerüche beim Beischlaf, während in ihrem Haar dekorative Zweige knacken. Über allem aber dreht sich der „immergleiche Tanz der Sterne“, und jeder hat ein interstellares Rauschen im Innenohr, das von Verlorenheit im Weltraum kündet.
Auf dem kosmischen Umweg der Milchstrasse ist Beuse in Selbstfindungsprosa und Workshop-Esoterik gelandet, die Kapital aus der globalen Orientierungslosigkeit schlagen. Die unverbindliche Vernetzung endet bei ihm tragisch. Die E-Mail-Marie wird zum Opfer eines erotischen Chats, die Cyber-Schmerzensfrau verblutet im strömenden Regen. Hyakutake war Unheilsbote, Nostradamus lebt. Kometen ist ein fingerfertig gebasteltes Figurinenballett, das sich zu Schlagerschnulzen dreht.
Stefan Beuse: Kometen. Roman, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000, 160 S., Fr. 29.10