Venus im Geschwätz. Coerte V. W. Felskes Glamourama “Millennium Girl” (FAZ, 28.08.00)
Am Anfang war der Seitensprung. Nach einem transatlantischen Satz sind nun die bösen Mädchen endlich auch auf dem amerikanischen Buchmarkt gelandet. Frauen, die Moët Chandon trinken. Schaumweingeborene High-Glamour-Girls. Supersonic-Vamps mit permanentem Jetlag zwischen den brilliantenbehängten Fledermausohren. Armor schießt jetzt auch hier mit Python-Stilettos von Gucci.
Das Millennium Girl Bodicea Lashley weiß nicht, wie ihr der perfekt frisierte Kopf steht, ist ein Quentchen überdreht und hat wahnsinnig viel zu erzählen. Hi, hallo, Bussi, hier kommt Bo! Sie ist „Goldgräberin“, ihre Claims sind die Golden American Express-Karten schwerreicher Männer, ihr Schürfwerkzeug ist ihr Jahrtausend-Körper. Wer sich ein Lächeln von ihr wünscht, muß sich erst auf die Fortune-Liste der 500 reichsten Männer setzen lassen. Aber dann gibt es auch schnell sehr viel mehr als ein Lächeln.
Die gefühlige Bo durchlebt alle Höhen und Tiefen der First Class-Prostitution. Dabei muß sie in jeder Episode mindestens ein Schmuckköfferchen voll 18-Karat-Tränen vergießen. In ihrer orientierungslosen Jugend hat sie leider ein Astrologie-Buch auswendig gelernt. So ist das psychologische Unterfutter ihrer Erzählung Horoskop-Hokuspokus. Die Traumfrau mit dem Astralkörper ist Aszendent Heulsuse und hängt an ihren 157 Gefühlen wie eine Marionette an ihren Fäden. Wie in deutschsprachigen Geschlechterkomödien gibt es auch in ihrer Vita den verständnisvollen Schmuseschwulen, der PC-konform und kostengünstig den Therapeuten ersetzt.
Bos biographischem Werdegang liegt ein vulgärpsychologisches Schnittmuster zu Grunde. Vom Vater vernachlässigt und letztendlich ganz und gar verlassen, geplagt von „finsteren Kobolden“, sucht sie bei all ihren Männern Selbstbestätigung und vielleicht sogar auch ein bißchen wahre Liebe. Aber ein sporadischer Schmetterling im Bauch macht noch keinen Sommer. Vor das Happy End hat der Herr die Selbstfindungsprosa gesetzt. In der raunt es von Verkrustungen, klaffenden Seelenwunden und Panzerungen. In Krisenzeiten umarmt Bo einen Baum. Tief in ihrem Innern wußte sicher schon Marilyn Monroe, daß die einzig wichtige Frage im Grunde lautet: Wie angele ich mir ein Ich? Themenbergreifend jedoch läßt sich sagen: „Uhhh, die Männer.“
Unbeirrbar frohgemut und immer wieder in Champagnerlaune durchstreift das Golddigger-Girl ein rauschendes Röhricht törichter Binsenweisheiten: „Wir sind, was wir sein wollen, so ist es wohl.“ Ihre Badegewohnheiten harmonieren mit ihrem Erzählhabitus: „Ich badete viel, aber mit viel Schaum. Ich nehme immer gleich die ganze Flasche.“ Das Ergebnis ist ein quirliger Jacuzi voll seifiger Schaumschlägerei. Bos Erzählung ist ein unverbindliches Geshaker mit dem Leser: „Geboren wurde ich irgendwo in Ohio. Ich weiß zwar, wo genau, aber Sie wissen es nicht, und warum sollte ich es Ihnen erzählen?“ Insgesamt lesen sich ihre Abenteuer, als blätterte man heimlich im Tagebuch seiner minderjährigen Schwester. Oft klingen ihre Sätze wie Gassenhauer vom Boulevard of Broken Dreams: „Jasper war eine Reise in den Wald der ausgeträumten Träume - ein grausiger Ort.“ Gäbe es wenigstens ein sexy Centerfold des Partygirls, wäre ihr schnäbelndes Cocktailgeplapper vielleicht besser zu ertragen.
Wie man die betörenden Oberflächen von Gucci, Prada, Bulgari & Co ankratzen und aus diesem Rohmaterial ernst zu nehmende Literatur machen kann, hat Bret Easton Ellis mit “American Psycho” vorgeführt. Bei Felske hingegen darf der Gala-Leser nach Feierabend Arm in Arm mit einem Million Dollar Girl und ihren verführerisch gewölbten Projektionsflächen über die flauschigen Teppiche des Trump-Towers scharwenzeln oder vor einem knisternden Kaminfeuer in einem Chalet bei St. Moritz mit den Zehen wackeln. Harmlose Zielgruppen-Literatur für Lifestyle-Victims, ein Wohlfühl-Roman.
Felskes Sprachkraft beschränkt sich auf das restlose Ausschöpfen der Goldgräbermetapher. Für knapp 400 Seiten reicht diese eine poetische Edelmetallader nicht ganz. Wenn der Stil sich schon entlang der Nullachse bewegt, möchte man als Leser wenigstens eine etwas heftiger ausschlagende Spannungskurve. Doch ziellos ist Bos Odyssee entlang der Hot Spots des internationalen Jet Sets, und ziellos ist auch Felskes Dramaturgie. Gleichförmig wie die Perlen von Bodiceas Colliers reihen sich die Episoden dieses Glamouramas aneinander.
Uuups, she did it again! Obwohl sie ja eigentlich gar nicht mehr will. Dieser eine Konflikt wird über alle Kapitel hinweg variiert. Felske weiß um seine dramaturgische Laxheit und schiebt die kokettierende Bo vor: „Ich schrieb auf, was mir gerade einfiel, und darum ist alles etwas ungeordnet. Das Ganze ist ein Flickenteppich aus Geschichten, und dafür entschuldige ich mich. Aber am Ende haben Sie die ganze Geschichte.“ Logisch. Über „die düsteren Pfade der Erniedrigung“ schlittert die Heldin von Desillusion zu Desillusionen. Durch den an schlagartig ausfallenden Haaren herbeigezogenen Krebstod ihrer Schwester wird Bo von ihrem Lotterleben geläutert, übernimmt die Verantwortung für ihre minderjährige Nichte Max und ihr eigenes Leben. Als Bonus für herausragende existentielle Leistungen bekommt die Pretty Woman noch ihren Superreichen und gründet eine ideale Familie, die mehr auf Geistes- als auf Blutverwandtschaft beruht. Diese wahlverwandtschaftliche Familienpackung wird einem als wegweisende Lebensform für das neue Jahrtausend verkauft.
Der Textcocktail ist auf recht flüssiger Dialogbasis gemixt, was sicherlich an Coerte V. W. Felskes Hauptberuf liegt. Er schreibt Hollywood-Drehbücher. Wer nun während seines nächsten Transatlantik-Flugs keine Lust auf das Bord-Video hat, möge Felskes Roman lesen - aber nur mit einem First-Class-Tickett als Lesezeichen. Wer allerdings glaubt, zwischen Literatur und Hollywood-Zweitverwertung bestehe ein struktureller Unterschied und diesen auch genießen möchte, sollte besser nicht mit dem Millennium Girl anbandeln.
Coerte V. W. Felske: Millennium Girl. Roman, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000, 380 S., geb., XX,YY DM