Großtante of Crime. Donna Leons achter Krimi “In Sachen Signora Brunetti” (FAZ, 23.09.00)
Der venezianische Commissario Guido Brunetti ist glücklich verheiratet mit seiner Paola, einer reichen, gebildeten Adeligen. Einerseits ist Venedig eine der schönsten Städte der Welt, andererseits gibt es in der Dritten Welt Kinderprostitution und Sextourismus. Das kann Paola dank ihrer noblesse du coeur nicht ungesühnt lassen, verläßt das gemütliche Ehebett und wirft in einem nächtlichen Gerechtigkeitsschub einen Stein in die Schaufensterscheibe eines Reisebüros, das Sexreisen in die Dritte Welt anbietet. Und beschlösse der Herrgott dereinst, die große Hure Venedig zu richten, und stieße er auch nur auf eine einzige Frau wie Paola Brunetti, er müßte die ganze dekadente Lagunenstadt verschonen: „´Sextourismus´, hatte sie gezischt und die Zähne dabei so zusammengepreßt, daß Brunetti die Sehnen an ihrem Hals hervortreten sah.“ An ihren Halssehnen sollt Ihr sie erkennen.
Nach ihrer ebenso symbolischen wie hysterischen Geste wird die Kommissarsgattin festgenommen, um wenig später im Morgengrauen von ihrem leicht kompromittierten Gatten wieder in den Familienhort zurückgeführt zu werden. Brunetti wird´s schon deichseln. Das nächtliche Intermezzo wiederholt sich noch ein weiteres Mal, dann wird der Besitzer des Reisebüros ermordet in seinem Palazzo aufgefunden, neben seiner Leiche ein collagierter Drohschrieb gegen Päderasten und Kinderschänder. Der Haushalt Brunetti gerät nun in ernst zu nehmende Bredouille. Paola hat nach ihrem inneren Gesetz gehandelt, und wird plötzlich mindestens indirekt schuldig gemacht an einem Mord. Guido handelt nach den Gesetzen seines Staates. Das hört sich nach der klassischen Tragödie zwischen Antigone und Kreon an, ist aber nur das Ergebnis von Donna Leons angestaubtem Verständnis der Geschlechterrollen.
Getrieben von ihren launigen Vorstellungen von weltweiter Turbogerechtigkeit schlafwandelt Paola durch die tintorettoschwarze Nacht, zertrümmert Schaufensterscheiben und reißt ihren Guido aus dem wohlverdienten Kommissarsschlaf, damit er als inkarnierte Vernunft den ganzen Schlamassel über dreihundert Seiten hinweg wieder richtet. Erst träumt das sinnenverblendete Frauenzimmer von hehren Wolkenkuckucksheimen und einer noch besseren als der bestmöglichen Welt, doch sobald sie vom Blitzlichtgewitter der skandalhungrigen Paparazzi geweckt wird, ist das Geschrei wieder groß. Bei Donna Leon finden die Frauen ihre einzig wirklich angemessene Rolle als Vorzimmerdamen. Hier sind sie treu ergebene Handlanger ihrer Lieblingsmänner und wirken im vernünftigen Rahmen ihrer Möglichkeiten unter gezielter Verwendung ihrer über die Jahrtausende hinweg erprobten Waffen: List, Charme und wohl dosierte Unverfrorenheit. It´s a men´s world, und der Donna soll´s nur Recht sein.
Donna Leon kokettiert mit politischer Unkorrektheit, ist jedoch schlichtweg erzreaktionär. In einer Welt des Sittenzerfalls erscheint die Familienzellwand bei ihr als einziger Schutzwall gegen all den brodelnden Unflat. Im Schoße seiner Lieben kann der Patriarch noch in aller Ruhe auf dem Sofa liegen, in den knorrigen römischen Moralisten schmökern, während ihm die Frau das Essen auf den immer sanfter atmenden Brustkorb stellt. „Nach ein paar Minuten kam Paola herein und schob ihm eine Stoffserviette unters Kinn, gerade rechtzeitig, um ein Stück Tomate aufzufangen, das ihm vom Brot fiel.“ Es nähme nicht Wunder, erschiene zu Weihnachten der Band „Kochen mit Paola Brunetti“. Nach bestandenen Abenteuern streichen sich die Eheleute gegenseitig übers Haar, küssen sich auf den Mittelscheitel, aber nur ganz sanft, sonst gerät er noch durcheinander. Dann wird erst mal eine Tasse Tee getrunken: „Ist Lindblüte recht?“ Ein Engel, diese Paola: „Er blickte zu ihr hinüber, sah ihr Haar wie zwei helle Flügel ihr Gesicht umrahmen.“ Ganz lieb. Nur manchmal eben eine etwas lästige Emanzen-Karikatur, eine ziemlich lächerliche „Zelotin“, die den Revolver ihres Mannes abfällig als „Taschenpenis“ bezeichnet. Dabei will er ihr doch nur Rückendeckung geben.
Augenzwinkernd erzählt Donna Leon dieselben Szenen einer Ehe, die uns beim Familienkaffeeklatsch von unseren weltweisen Großtanten aufgetischt werden. Am liebsten mag Tante Donna ihre Geschichten blaublütig: „Obendrein war Paola die Tochter des Conte Orazio Falier, eines der bekanntesten und wohlhabendsten Männer der Stadt.“ Ah, il Conte. Oh, Venezia: Dogenpalast, Bleikammern, Casanova; - stolz wirft sich San Marco das wehende Cape aufstiebender Taubenschwärme um. In seinem achten Fall erscheint Commissario Brunetti als der ideale Schwiegersohn moderner Adelsgeschlechter.
Richtig kämpferisch wird Donna Leon nur bei Konsensthemen. Doch daß Kinderprostitution des Teufels ist, wird wohl vom Kreisvorsitzenden der PDS Chemnitz bis hin zum päpstlichen Gesandten in Laos niemand zu bestreiten wagen. Ebenso fies ist die Mafia, der italienische Verwaltungsfilz und das Phänomen Mord und Totschlag in toto. All das bleibt schnell verpuffende Vaporetto-Empörung.
Ebenso herkömmlich wie Donna Leons Weltsicht ist ihre Erzählkunst. „In Sachen Signora Brunetti“ ist ein hieb- und stichfest heruntergeschriebener italienischer Krimistiefel. In Donna Leons Prosawerkstatt muß ein leicht vergilbter Meisterbrief der venezianischen Erzählhandwerkskammer hängen. Nur manchmal schlägt der unberechenbare Werwolf der Stilblüte seine Reißzähne tief in Donna Leons Gemüt und schleift sie in sein düsteres Reich: „Die Erinnerung schlug ihre Zähne tief in sein Gemüt und trug ihn fort.“ Venedig fungiert in dem Text nur als Verkaufsargument. Die Stadt ist kaum präsent. Wenn die Gondeln Tarnkappen tragen. Hier ein bißchen abblätternder Putz, dort ein düsteres Gäßchen, sonst nichts. In dem Buch kommt keine einzige Ratte vor. Der Krimi scheint als Begleitlektüre für frisch Vermählte auf ihrem venezianischen Honey Moon konzipiert. So schön kann die Ehe sein. Wenn sich die Frau nur ein bißchen anstrengt und ihr leicht aufwallendes Temperament in den Griff bekommt.
In diesem soft-boiled Krimi gibt es nicht eine bedrohlich schillernde Gestalt. Klar teilt sich die Welt in gut und böse. Die Bösen erkennt man an ihren liederlich glänzenden Augen. Manchmal ist einer ein bißchen zu gut für diese Welt. Ein bißchen zu naiv. Wie Paola Brunetti. Aber dann gibt es ja noch Guido, der sie wieder auf den gemeinsamen Boden der Tatsachen holt, den er abschließend noch gründlich sauber kehrt, damit die gemeinsamen Kinder sich beim Spielen nur nichts holen.
Donna Leon: In Sachen Signora Brunetti. Roman, Aus dem Amerikanischen von Monika Elwenspoek, Diogenes Verlag, Zürich 2000, 311 Seiten, 39,90 DM