Stephan Maus

Henning Mankell: ‘Der Mann, der lächelte’ (FAZ)

Der Mann, der schwächelte. Henning Mankells Krimi “Der Mann, der lächelte” (FAZ, 24.03.01)

Um Kurt Wallander steht es arg. Bei der Aufklärung seines letzten Falles mußte der schwedische Kommissar einen Kriminellen erschießen. Notwehr gehört zwar zum Geschäft, doch der Polizist fällt in tiefe Depression und Selbstzweifel. Er streift durch einsame Landstriche, schiefergrau das Meer, trüb der Himmel. Die Chemie seiner Psyche geht mit der Atmosphäre eine kuriose Verbindung ein und erzeugt dichten Küstennebel. Durch Schweden geht böiger Wind, durch Wallander ontologisches Frösteln.

Mankell folgt der alten erzähltechnischen Bauernregel, nach der der Alto-Cumulus am Horizont direkt dem umwölkten Gemüt des Protagonisten entspringt. Durch wallende Nebelfelder patrouilliert Wallander, und das traurigste Revier, das Revier, in dem er niemals Ruhe und Ordnung schaffen wird, ist sein krisengebeuteltes Ich. Und der Fall, den er niemals lösen wird, ist sein eigenes Leben. Wallander lungert im Grenzgebiet zwischen Rechtfertigung und Selbstekel, im Schlick zwischen Meer und Strand, nur der Wattwurm hört sein Seufzen. Der Mann, der schwächelte. Emphatisch tutet das Nebelhorn: „Nebelhörner blökten aus der Ferne wie verlassene Kreaturen.“

Zu Beginn seines Krimis liefert Henning Mankell ein depressives Outdoor-Gejammer, einen ziemlich gefühlsdurchlässigen Goretex-Text. Goddag, tristesse. So sehr durchstreunt der Kommissar Landschaften, bis er sich selbst zur Gegend wird: „Er merkte, daß die Sümpfe in seinem Inneren langsam austrockneten.“ Die verletzte Seele Wallander schleppt sich von Gemeinplatz zu Gemeinplatz. Der Depri-Derrick torkelt von Flasche zu Flasche und hurt in „Schuppen, wo es nach Vitriol stank, auf einem schmutzigen, verschimmelten Lager. Kakerlaken krochen ihm über das schweißnasse Gesicht.“ Für solche Momente hält die literarische Requisitenkammer immer ein Riechfläschchen jener ätzenden Chemikalie bereit, die Seelenfraß und Gemütskorrosion symbolisieren soll. Angst essen Bulle auf. Gegen psychische Beulenpest hilft nur seine verständige Tochter: „Zusammen glätteten sie die schlimmsten Beulen an seiner Seele.“ Das Wort „Seele“ taucht so oft auf wie in einem Gesprächsprotokoll der Telefonseelsorge. Hin und wieder stolpert Wallander über eine dingfeste Allegorie seiner Seele und setzt sich einfach drauf: „Deshalb setzte er sich auf das kieloben liegende Wrack eines großen Ruderboots, das halb im Sand begraben war.“ Der Kommissar auf therapeutischem Diensturlaub formuliert Gedanken wie ein ehemaliges Mitglied einer gluckenhaften Männergruppe: „Eines Tages merkten wir, daß etwas vorging, was wie der Beginn einer Freundschaft aussah. Freundschaft entseht ja oft ganz unerwartet, wie ein Wunder. Und Freundschaft ist ein Wunder, das habe ich im Leben gelernt.“ Wie das Leben ja überhaupt ein einziger Volkshochschulkurs in Sachen Lebensweisheit ist.

So schwierig Wallanders Verhältnis zu sich selbst ist, so innig ist das Mankells zur Absatztaste seines Schreibcomputers. Er benutzt sie wie die Pedale einer Orgel und akzentuiert mit ihr die schwerwiegenden Passagen des Textes.

Punkte reichen für den Seelenpathos seines Helden nicht. Ein Absatz nach jedem existentiellen Seufzer. Als bekäme Mankell Zeilengeld.

Kurt, denkt der Leser nach zwanzig Seiten, hör endlich auf zu greinen. Mach einfach deinen Kommissars-Job. Such dir einen Ganoven und schaff ihn hinter schwedische Gardinen. Und da rafft sich der gefühlige Kurt auch schon auf und macht wieder seinen Job. Und Kurt Wallander macht seinen Job verdammt gut. Ebenso gut wie Henning Mankell, der nach dem anfänglichen Depressionsanfall einen handfesten, stimmungsvollen Krimi in den Herbstnebel komponiert. Der schwedische Staatsdienst erweist sich als vorzügliches Mittel gegen Weltschmerz und Sinnkrise.

Mankell hat das Krimi-Genre verbeamtet. Die Kommissare grübeln in muffigen Amtsstuben, während der Böse ein glamouröses Leben auf einem Schloß außerhalb der Stadt führt. Unter den Ordnungshütern herrscht chronische Miesepetrigkeit. Schweden verströmt hier den Charme eines Kundenparkplatzes hinter einem Discount-Fliesenmarkt kurz vor Hannover. Im Hintergrund brummt unablässig Mankells Windmaschine: „der Wind war wieder kräftiger geworden.“ Alle Beamten sind so mürrisch und mißmutig, als wäre ihr Innenleben mit demselben abgestoßenen Linolium ausgelegt wie ihre tristen Büros. Der Ganove ist der Einzige, dessen Gesichtszüge sich entkrampfen: Der Mann, der lächelte. Lumpen leben lustiger. Mankell gibt eine kleine Phänomenologie des Lächelns, die ein bißchen lächerlich ist, aber nicht wirklich schlimm. Im Laufe des Textes gefriert dieses Lächeln, zerbricht, wird bezwungen und zerschlagen, zeigt Risse, ja ein Riß gar, in dem sich Wallander wie in einem Spiegel sehen kann, Wunder der Physiognomie. Doch der Krimi ist zu sympathisch, um ihm wegen solcher stilistischer Schrullen den Prozeß zu machen.

Wider das Mißtrauen seiner Vorgesetzten und Kollegen wird Kommissar Wallander noch einmal das Balzacsche Diktum nachweisen, daß hinter jedem großen Vermögen ein Verbrechen steht. Und wie jeder interessante Kommissar wird er sich im Kampf gegen den Machiavelli aus Malmö immer hart am Rande der Dienstvorschrift bewegen. Mankell entwirft glaubwürdige Charaktere, deren Profil sich in facettenreichen, vielstimmigen Dialogen herausschält. In Ystadt weht böiger Wind, der Mensch ist schlecht, der Kommissar aufrichtig und viertelstündlich schlägt die Uhr. Immer wieder blendet Mankell minutengenau die laufende Uhrzeit in der Erzählung ein, als wollte er seiner Handlung dem präzisen Räderwerk des Schicksals unterordnen. Die Uhrzeit in Verbindung mit einem einzeiligen Wetterbericht sind wie der melancholische Refrain des Textes, der auch bedeutet: So ist der Lauf der Welt, tick, tack, und Kurt Wallander gibt sein Bestes, mit ihm Schritt zu halten. Das ermittlungstechnische Auf-der-Stelle-Treten weiß Mankell ebenso stilsicher und nachvollziehbar zu schildern wie eine spannende Hatz durch einen nächtlichen Schloßpark, der denselben Landschaftsarchitekten zu haben scheint wie der Dekor klassischer Schauerromane.

Kurt Wallander ist ein knurriger, aber zutiefst guter Eigenbrötler. Ein Mann, der nachts im Halbschatten der Straßenlaterne am Küchentisch sitzt und konzentriert das Morgengrauen herbeigrübelt. Wallander versucht, die unübersichtliche Welt in seinem provinziellen Rahmen ein bißchen in Ordnung zu halten. Irgendwo muß man ja anfangen. Einmal die Woche erlaubt er es sich, das Schicksal per Rubbellos herauszufordern: „Nach dem Essen spülte er das Geschirr und rubbelte seine Lose. Es waren fünf Nieten.“ Als Kind mußte er zusehen, wie sein Vater von windigen Gesellen ausgebeutet wurde. Für den kleinen Kurt waren das die „Seidenritter“. Der Erwachsene widmet seinen Kampf nun den Global Players unter den halbseidenen Rittern; den Schloßherren, die sich mit Karateexperten umgeben, die Hälfte ihres kosmopolitischen Lebens unter knatternden Hubschrauberrotoren verbringen und mit Nieren unfreiwilliger Spender handeln. Der alkoholgefährdete, kaffeesüchtige Kommissar wächst einem schnell ans Herz. So sehr, daß man ihm bei seinem nächsten Fall sogar einen mittelheftigen bis schweren Depressionsanfall verzeihen würde.

Die ersten Seiten von „Der Mann, der lächelte“ sind recht nervtötend. Wie die letzten Seiten waren, läßt sich nicht genau sagen. Sie lesen sich so spannend, daß der Roman unversehens zu Ende ist. Nachdenklich schaut der Leser aus dem Fenster. Der Nebel ist dichter geworden. Es ist Viertel nach neun.


Henning Mankell: Der Mann, der lächelte. Roman, Aus dem Schwedischen von Erik Gloßmann, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001, 382 Seiten, XX,YY DM