Engel aus Bodenhaltung: Denis Johnsons Roman “Engel” (Hessischer Rundfunk)
Denis Johnson hat mit seinen Romanhelden Jamie Mays und Billy Houston eine existentialistische Version des amerikanischen Mythos vom Gangsterpärchen on the road geschaffen. Mit dem Überlandbus treten Jamie und Billy ihre Reise bis ans Ende der Nacht an. Das Paradies ist schon lange verloren, das Leben nur noch eine Juke-Box voller Blues-Platten und der rasende Greyhound ein Höllenhund. Der Flügelstaub dieser gefallenen Engel ist synthetisch, manchmal Barbiturate, meist Amphetamine. Ihr Problem ist das aller Flügelwesen: die Wirklichkeit weht ihnen nur so durchs Gefieder, sie kriegen sie einfach nicht zu fassen.
Fluchend und à bout de souffle hetzen sie ihr hinterher und durchmessen alle Kreise der Hölle, die Amerika zu bieten hat: Trailer Parks, heruntergekommene Busbahnhöfe, Vorstadt-Kneipen, Shopping-Malls und sämtliche grotesken Betzirkel ihrer Verwandtschaft. Sie versumpfen in einer Gesellschaft von Herumtreibern, Loosern, Psychopathen, Outcasts und Maniac Driftern. Einfühlsam portraitiert Johnson den White Trash am Rande der amerikanischen Gesellschaft.
Daß das Universum krumm und öd ist, erahnen Jamie und Billy immer dann, wenn sich ihr Rausch etwas lichtet; daß ihr Portemonnaie gähnend leer ist, spüren sie die ganze Zeit. Auf ihrer verzweifelten Suche nach Bargeld und dem pochenden Herz der Dinge fallen diese grübelnden Nachkommen von Bonny und Clyde immer tiefer, bis sie endlich in Phoenix, Arizona landen. In der flirrenden Hitze der Wüste läßt der Autor sie reinigende Fegefeuer, Gehirnwäschen und Teufelsaustreibungen durchleiden. Endstation Phoenix. Das Purgatorium ist kein Drive-Through.
Der Dichter Denis Johnson beherrscht die gesamte Prosa-Klaviatur mit Bravour: Knast-Dialoge, lässige Gaunersprüche, die Lichtverhältnisse in der Wüste früh morgens um halb fünf, den Duft der Melancholie, der ölig-schwer aus dem schlierigen Whiskeyglas steigt, die geölte Mechanik von Revolvern und spannungsgeladenen Gangster-Szenen, die kühlen Geometrien der Todes- und der Gummizelle, das Echo in der Death Row, phosphoreszierende Acid-Apokalypsen, die Tragik, die Komik und all den verdammten Rest. Und was genau macht eigentlich das Neon mit dem Nachthimmel? Johnsons Stil ist von rauschhafter Präzision. Plastisch treten Figuren, Landschaften und nächtliche Bars aus dem schillernden Hologramm der Buchseiten. Diese Prosa ist eine rhythmisch schwingende Fähre zu zahllosen Inseln rein leuchtender Poesie.
Denis Johnsons Roman erzählt das überwältigende Abenteuer von den ganz großen Epiphanien. Wie erleuchtet steigen seine Engel am Ende in Phoenix aus der noch schwelenden Asche ihrer Biographien empor. Den Leser haben sie schon lange mitgenommen.
Denis Johnson: Engel. Roman, Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell, Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 239 S., XX, YY DM