Job fressen Gumbo auf. Joachim Bessing an den Steuerknüppeln der “Wir Maschine” (NZZ, 29.09.01)
1999 veröffentlichte Joachim Bessing zusammen mit vier weiteren Stegreif-Schwadroneuren unter dem Titel „Tristesse Royale“ das Sitzungsprotokoll eines Buben-Talks im Berliner Luxus-Hotel Adlon. Man nannte sich damals das „popliterarische Quintett“, und im Medienhimmel war ein Summsen und ein Surren. Täglich kalbte die Klatschspalte. „Tristesse“ traf die Sache, „royale“ weniger. Mittlerweile zerbröseln die literarischen Quartette und Quintette. Auch die popkulturelle Ikone Robbie Williams hat sich vor Jahren schon aus dem Backstreet-Quartett verabschiedet. Die „Wir Maschine“ erweist dem Vorreiter Robbie ihre Referenz: „´Ein cooler Hund´, sagt Bernd. ´Lässige Sau´ sagt Gumbo.“ Es ist die Zeit der Solo-Karrieren gekommen. Die vier dekadenten Adlon-Musketiere haben Joachim Bessing ins Licht der Öffentlichkeit gehievt. Nun kann er seinen ersten Roman veröffentlichen.
Der Autor hat eine Wandlung durchgemacht: aus dem konzeptlos schwadronierenden Adlon-Parvenü ist ein geziert formulierender Décadent mit gesellschaftskritischem Impetus geworden. Kritisiert werden vor allem die oberflächlichen Wertvorstellungen jener schaumschlagenden Mediokratie, die es dem ehemals bekennenden Pop-Literaten überhaupt erst ermöglicht hat zu publizieren. Der Solo-Artist wendet sich heute gegen das gefräßig mahlende Räderwerk der kollektiven Wir-Maschine, die ihn aus dem Nichts in die Öffentlichkeit geschaufelt hat. Im Hintergrund der Wir-Maschine schnurrt die Ego-Turbine des Autors.
Gumbo nennen wir einen jungen Mann, doch der heißt nicht wirklich so. Gumbo ist nur sein Markenname, sein Label in der etikettenfixierten Werbe-Gesellschaft. In einer Hamburger Schickeria-Osteria inhaliert Gumbo den süßlichen Weinatem von Barbara und ist hin und weg. Barbara ist eigentlich lesbisch, will aber wissen, wie das noch mal war, und nimmt den um einige Jahre jüngeren Mann nach ein paar Marillenschnäpsen mit in ihr Luxus-Apartment. Gumbomäßig läuft nun alles prima. Nach dieser Nacht wird Gumbo Barbaras Assistent in der Werbeagentur Wildcard und ihr Bettgespiele im Privatleben.
Der Held verläßt sein studentisches Gumboproletariat, die Werbetussi klont sich ihren Werbefuzzi. Gumbo wird Bobo, einer jener bourgeoisen Bohemians, die David Brooks in seinem Buch „Bobos in Paradise“ als die Yuppies der New Economy beschreibt. Was sich erst als ein Aufstieg in die glamourös glitzernde Werbewelt präsentiert, entpuppt sich bald, wer hätte es gedacht, als Kosmos der falschen Werte. Die größten Irritationen rufen hier kratzige Markenetiketten im Pulloverkragen hervor. Vor den Kußszenen kaut man Kaugummis. In den neuen Jil-Sander-Katalog soll unbedingt künstlicher Schnee, in der Hamburger Gosse rauchen die Junkies Heroin. Die hippen Kreativen jedoch befeuern ihr Hirn mit den Amphetaminen der Nazi-Flieger: „Oder etwa – bei Jil Sander ist ja nichts undenkbar: könnte auch Ya-Ba sein, die Hochleistungspille der Nazi-Flieger.“
Dem Pop-Literaten schwant, hier könne gesellschaftlich etwas im argen liegen. Im Laufe seiner Erzählung entwickelt sich ein Computer-Nerd der Agentur Wildcard zum bombenlegenden Rechtsrevolutionär. Doch sonst entwickelt sich nicht viel. Vor allem aber nicht Gumbo. Bernd der Nerd sprengt den Agentur-Chef mit einem schwarzpulverfarcierten Dönerhackkegel in die klare Hamburger Herbstluft, und der Autor entläßt seinen nunmehr arbeitslosen Helden ins vage Kosmische. Er schnürt los, „über die schattige Wiese, Richtung Milchstraße.“ Gumbo verschwindet als intergalaktischer Dumbo, der fliegende Elephant.
Bessings Wir-Maschine startet mit einigen Anlaufschwierigkeiten. Zu Beginn wird die Figur des alternden Werbe-Profis Alfred eingeführt, den das Metier ausgelaugt hat. Der Alkoholiker Alfred ist die mahnende Kontrastfigur, auf deren Schicksal sich das jüngere Romanpersonal hinzuentwickeln droht. Dieser Werber hatte in den siebziger Jahren seine große Zeit, doch nun ist es vorbei. Dies teilt er mit der satirischen Zugkraft der Figur des lebensverzweifelten Werbers, die in den späten Siebzigern über jede Kleinkunstbühne gegeistert ist und nun eigentlich ausgedient hat.
Alfred hat auf Ibiza das richtige im falschen Leben gesucht, doch es war vergebens, die Wir-Maschine hat ihn fest am Wickel. Kurz hegte er den Wunsch, auszusteigen: „Er wollte probieren, ob es noch etwas anderes gab. Von einem ganz auf sich fixierten Leben träumte er. Wo alles aus ihm heraus entstand und nach seinem Willen auch verging. Den Traum eines jeden Kreativen – Alfred machte ihn sich war.“ Stilistisch müßten auf den ersten Seiten der „Wir Maschine“ die Zündkerzen gesäubert werden. Etwas holprig läuft die Prosa an. Der Autor legt den Sicherheitsgurt an und löst die Handbremse: Traum, dich mach ich mir wahr, Buch, dich schreib ich mir. Kurz sorgt man sich um den Kreativen Bessing.
In den ersten zehn Seiten türmt er Trikolon auf Trikolon, ruckend hoppelt die Wir-Maschine im rhetorischen Dreisprung durch die Exposition. Bessing bringt es bis zur dreimaligen Häufung des rhetorischen Dreiklangs in einem einzigen Satz: „Und (I, 1) je tiefer es fällt über die Stunden, (I, 2) je näher es ihnen kommt, (I, 3) je tiefer es eintaucht in die Atmosphäre, desto lauter wird dabei sein Ton – zuerst ist es (II, 1) ein Rauschen, (II, 2) ein Flattern, dann (II, 3) ein Pfeifen, wird zum (III, 1) Mahlen, zum (III, 2) Dröhnen, einem ohrenbetäubenden (III, 3) Geheul.“ (Numerierung durch den Rezensenten) Bessing ist in seinem werbekritischen Text selbst ein stilistisches Opfer der populärsten Trope der Werbewirtschaft geworden: Feuer, Pfeife, Stanwell, bei Arbeit, Sport und Spiel.
Der Autor versucht sich in einer vage kinematographischen Romaneröffnung, indem er aus kosmischen Höhen ein Objektiv auf seine Figuren trudeln läßt: „Und auf alle drei sirmelt aus großer Höhe ein silbernes Okular herab.“ Dorgelt darnieder? Strungelt hinunter? Xarxelt kerumb? Nein, „sirmelt herab“. Von Alfred heißt es steif und schief: „Im Bereich des Werbetextens, dem Erfinden von Slogans und ganzen Kampagnen war er unschlagbar, ein Genie.“ Und man fürchtet, im Bereich des Prosatextens, dem Erfinden von Sätzen und ganzen Romanen steht es um Bessing nicht ganz so gut.
Doch die Anlaufschwierigkeiten legen sich, und nach weiteren zehn Seiten tuckert die „Wir Maschine“ gleichmäßig schnurrend los. Literarisch handelt es sich hier wieder um ein konventionell verarbeitetes Modell der Generation Golf; zuverlässig, unspektakulär, vielleicht mit einigen Sonderausstattungen, denn Bessing legt wert auf präzis-präziöse Schilderung kostbarer Texturen, anregender Maserungen und zart schimmernder Farbtönungen, hauptsächlich im Pastellspektrum. Seine taktile Vorliebe scheint veloursbepelzten Früchten wie Aprikosen zu gelten, die er in besonders neurasthenischen Momenten Marillen nennt.
Erstaunlich, daß Bessing sich nach Frédéric Beigbéders Abrechnung mit der Werbewelt „39,90 DM“ noch einmal vorgenommen hat, den ganzen verlogenen Reklamezirkus so richtig zu entlarven. Erstaunlich überhaupt, daß das noch jemand für notwendig erachtet. Doch muß nach dem Platzen der New-Economy-Blase und der damit einhergehenden Krise der Werbewirtschaft wohl mit einem verstärkten Vorkommen von Texten über Content-Provider in der Sinnkrise gerechnet werden. Bis nach Klagenfurt wehte das Klagen der orientierungslosen Micro-Slaves. Hier las Rainer Merkel einen Auszug aus seinem neuen Roman „Jahr der Wunder“, der in den Lofts der neuen Wirtschaft spielt. Verunsichert suchen nun die ehemaligen Helden der alten und neuen Medien mit ihren trittsicheren Campers-Boots Halt auf den unteren Sprossen der wackeligen Karriereleiter, deren Wankungen und Schwankungen sie mit gleichmäßigen Schwüngen ihrer Freitag-Taschen auszugleichen suchen.
Bei der Lektüre der „Wir Maschine“ bekommt man das Gefühl, Bessing habe in den letzten Jahren seine Seele bei einem angesagten Kreativdienstleister verkaufen müssen, und nun sei die Zeit der Abrechnungen gekommen. Technisch gelingt Bessing die Abbildung des Medien-Milieus recht gut. Treffsicher bildet er den Jargon der Meetings, Briefings und Hearings ab und zeichnet amüsant und glaubwürdig die hierarchischen Spielchen der Gurus. Fest steht: Job fressen Gumbo auf. Und Alfred auch, Babs, alle, alle. Streckenweise ist das so unterhaltsam wie Helmut Dietls Schickeria-Kommödchen „Monaco Franze“. Ausgelaugte Creative und Art Directors und unterbezahlte Junior-Texter werden sich in Bessings Roman wiederfinden und die Wir-Maschine dankbar unter die Kopier-Maschine legen. Insgesamt blättert der Autor jedoch recht uninspiriert durch den Flip-Chart der leeren Werberseelen. In Bessings Kritik des globalen Gumbokapitalismus spürt man eine gewisse Rage gegen die Wir-Maschine, aber Rage against the Machine klingt anders. Und eigentlich braucht man auch nicht mehr die x-te Adaptation von Bret Easton Ellis literarischem und gesellschaftskritischem Programm für den deutschsprachigen Büchermarkt.
Literarisch am interessantesten wird der Roman dort, wo Bessing ihn von satirischem Realismus ins fantastische Genre kippen läßt. Die beste Passage ist die Beschreibung eines Höllenhundes: „Die Schultern des Hundes kommen so weit nach oben in ihrer Mitte zusammen, daß es aussieht, als sei sein Kopf ein Pfeil, der von den hart arbeitenden Fleischmassen aus dem dahinjagenden Hundekörper geschossen wird. In Rot und Schwarz fliegt der Pfeil nach vorne weg. Geradewegs über die Alster, über ganz Deutschland, bis tief in den Süden, in Münchens Mitte.“ So endet ein Kapitel. Das folgende spielt in München. Einen eleganteren, originelleren Kapitelwechsel hat man schon lange nicht mehr gelesen.
Doch nicht allzu oft gelingt es Bessing, das Gleichgewicht zwischen abgehobener Phantastik und noch halbwegs nachvollziehbaren Gedankenspielen zu halten. So schweift der Text häufig in seitenlange, hermetische Traumwelten seiner Protagonisten ab, die sicher einiges bedeuten. Nur was?
Joachim Bessing: Wir Maschine. Roman, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, München 2001, 205 S., Fr. XX,YY