Stephan Maus

Steinzeitdiät im Selbstversuch: ‘Bis die Fontanelle platzt’

Ich bin 48, mein Body-Mass-Index ist 25, mein Kung Fu passabel, und eigentlich geht’s mir blendend. Aber könnte es mir nicht besser gehen? Wenn ich in mich reinspüre, dürfte mein Geist gern etwas aufgehellter sein, irgendwie pastellfarbener, und mein ganzer Metabolismus gern etwas sanfter schnurren. Wenn ich mein allmorgendliches Oben-Ohne-Selfie schieße, sehe ich Optimierungspotential.

Um mich rum überall Jogger. Mit ihren Kardio-Trackern am Oberarm sehen alle aus, als wären sie gerade aus der Notaufnahme abgehauen. An jeder Salatbar ist die Hölle los. Und ich schaufele immer noch rheinischen Sauerbraten mit Kartoffelbrei in mich hinein, als hätte ich gerade erst eigenhändig das zerbombte Nachkriegsdeutschland wieder aufgebaut. “Sättigungsbeilage!” heißt mein Schlachtruf am Büffet. So kann zeitgemäße Ernährung nicht aussehen.

Fest steht: Ich könnte mehr PS auf die Straße bringen. Und sollten wir das nicht alle in so unsicheren Zeiten wie diesen? Konkurrenzfähig bleiben. Am Nebenmann vorbeiziehen? Besseren Antritt hinlegen? Außerdem fehlt mir ein Glaube. Gott ist möglich. Aber ich spüre ihn nicht richtig. Ein System, die Welt zu ordnen in Gut und Schlecht, wäre schön. Ein klares Weltbild und Vitamin C schützen vor Sommergrippe. Eine Essensreligion wäre wunderbar. Wechseljuicer, Flexitarier, Flexiganer – egal: Irgend ein Foodamentalismus muss her.

Aber originell müsste es sein. Je ausgeklügelter die Lehre, desto interessanter der Adept. Bewusst essen ist das neue Statussymbol. Wer sich gut nährt, erntet Anerkennung, hat was zum Smalltalken und erhöht seine Chancen auf den Dating-Portalen. Außerdem predige ich gern. Weiß aber meist nicht, worüber. Der große Goji Beeren-Sermon wäre ein Ausweg.

Die Essensreligionen sind auf den ersten Blick unübersichtlich. Der Optimierungswahn boomt und treibt schillerndste Blüten. Ich könnte zum Beispiel auf Nachtschattengewächse verzichten. Langweilige Story irgendwie. Dann schon eher Beyoncé-Diät: Mit Reis, Kartoffeln und Nudeln zur Diva. Oder eine von Gwyneth Paltrows Detox-Kuren. Wundermittel Grünkohlsaft! In Kalifornien ist Grünkohl das neue It-Gemüse. Und Detox ist immer gut. Wer fühlt sich nicht vergiftet, schmutzig, unrein? Gerade jetzt im Frühjahr. Oder ist schon Sommer? Sehen Sie: Ein undurchdringlicher Schleier liegt über meinem Bewusstsein.

Leider hat meine spirituelle Nähe zu Gwyneth Paltrow etwas nachgelassen, seit sie die Vagina-Reinigung mit Wermutkraut-Dampf propagiert. Dazu kommt, dass ich langsam in die Midlife Crisis komme. Da ist es wichtig, seine Männlichkeit noch einmal neu zu fokussieren. Bin ich nicht viel zu metrosexuell? Ist mein Lachen nicht genau eine Oktave zu hoch? Sind das vielleicht all die Kälberhormone in der Milch? Ich bin kein Kälbchen! Ich bin ein Stier!

(Vollständige Geschichte auf stern.de)