Filmemacher Werner Herzog spricht über sexuellen Missbrauch, Größenwahn und darüber, wie man in Hollywood überlebt
Herr Herzog, die “Me Too”-Debatte legt die verborgenen Machtstrukturen im Filmgeschäft offen. Sichtbar wird ein düsteres Milieu, in dem narzisstische Männer Frauen erniedrigen und vergewaltigen.
Was wir hier erleben, geht weit über Hollywood und das Filmgeschäft hinaus. Das ist etwas viel Größeres. Ein Verhalten wie das von Kevin Spacey oder Harvey Weinstein beispielsweise ist in absehbarer Zukunft undenkbar. Männer wissen jetzt, dass sie nicht nur aus einem Film entfernt werden, sondern ihre ganze Lebenskarriere riskieren. Endlich kommt die Zäsur, die die feministische Bewegung schon seit den 60er Jahren zu Recht fordert. Was wir im Moment miterleben, ist epochal.
Inzwischen geben sogar Schauspieler aus Woody-Allen-Filmen ihre Gagen zurück und sagen, ich bereue, mit ihm gedreht zu haben.
Bei Woody Allen wusste man schon lange, dass er nicht ganz koscher ist.
Vor Gericht wurde Woody Allen allerdings freigesprochen.
Es spielt keine Rolle, ob er freigesprochen wurde oder nicht. Harvey Weinstein wird vielleicht auch freigesprochen werden.
Im Fall von Jörg Kachelmann konnte man sehen, dass falsche Anschuldigungen drohen, ein ganzes Leben zu zerstören.
Es ist erst einmal nichts Verkehrtes daran, wenn ein Schauspieler ein Zeichen setzt und seine Gage zurückgibt. Der Schauspieler sagt ja nicht, Woody Allen hat sich des Inzests schuldig gemacht. Vielleicht schlägt das Pendel hin und wieder zu weit aus. Auf jeden Fall haben wir eine neue Epochenlinie zu Gesicht bekommen.
2013 offenbarte Pola Kinski in einem “stern”-Interview, dass ihr Vater sie als Minderjährige sexuell missbraucht hatte. Damit wurde Klaus Kinski zu einem der ersten Fälle von restloser Entzauberung einer Film-Ikone. Waren Sie damals überrascht von Pola Kinskis Enthüllung?
Pola hat bei mir Rat gesucht, lange bevor sie an die Öffentlichkeit ging. Was in ihrem Buch stand, wusste ich schon.
Wie haben Sie auf Pola Kinskis Hilferuf reagiert?
Man kann in einem solchen Moment nicht trösten, weil es keine Tröstung gibt. Man kann nur zuhören. Und ich habe mir gesagt: Ich kann nicht wirklich helfen. Aber vielleicht einen Teil der Last übernehmen. Weil ich auch jemand war, der mit Kinski seine Last zu tragen hatte.
Bevor Kinski 1991 verstarb, haben Sie 25 Jahre lang mit ihm zusammen gearbeitet. Haben Sie nie etwas geahnt?
Nein. Die ersten Vermutungen kamen erst 20 Jahre nach unserem letzten gemeinsamen Film “Cobra Verde” aus dem Jahr 1987 auf. Damals haben sich Frauen bei mir gemeldet, die auch unter Kinski gelitten haben.
Sie haben fünf Filme mit Kinski gedreht, und dabei ist Ihnen nie etwas aufgefallen?
Es gab Momente mit Kinski, wo er in düsteren Drohungen gegen mich andeutete, er könne für mich so gefährlich werden wie seinen Töchtern gegenüber. Aber was das wirklich bedeutet hat, habe ich erst durch Polas Erzählungen verstanden. Da hat sich erst spät, ganz spät im Nachhinein, ein anderes Bild von ihm zusammengesetzt.