Liebe Freunde,
der “Salon in der Alten Darmschleimerey” wird nicht mehr stattfinden. Die Institution, nur 800 Meter entfernt von Gottfried Benns Geburtshaus, wird geschlossen.
Leider muss ich konstatieren, dass die Kulturtechnik des Dialogs versagt hat. Eines der letzten wirklich bürgerlichen Refugien wurde gemeuchelt von der Fraktion der Gutmenschen und Null-Toleranzler. Von all jenen Heuchlern, die überhaupt gar nie tolerant waren, sich aber in den Mantel der kompromißlosen Rechtschaffenheit hüllen möchten. Vorbei, es ist vorbei. Uns bleiben nichts als Erinnerungen.
Unvergessen der Abend, als Peter Sloterdijk und Lutz Bachmann gemeinsam den Metaphern soldatesken Körperkults in Rilkes späten Sonetten nachspürten.
Oder als mein lieber Freund Nicolaus Fest, Sohn des großen Joachim Fest, zusammen mit einem fiebrigen Akif Pirinçci die Ästhetik des postponierten Reflexivums “sich” im Werk von Carl Schmitt erörterte.
In jenen Momenten blitzte der Esprit unseres Gründungspaten Botho Strauss auf, der uns nun leider schon seit Jahren die Ehre nicht mehr erwiesen hat. Doch dafür dürfen wir seinen Sohn heute zu den Unsrigen zählen.
Unvergessene Teestunde, als Thilo Sarrazin und Uwe Tellkamp gemeinsam die unterirdischen Gesinnungskorridore in Lessings “Nathan” herauspräparierten.
Ganz zauberhaft auch der Moment, als Frank Schirrmacher nach der Verleihung des “Courage-Bambis” an Tom Cruise zusammen mit Nicole Kidman nachts um ein Uhr in vertrauter Runde am Infinity-Pool verstörendes, aber genialisches Liedgut aus dem George-Kreis vortrug.
Schien uns allen damals nicht ein “Geheimes Deutschland” als willkommene Rettung für unser gebeuteltes Land? Wer von uns schöpfte damals nicht Kraft an der geheimnisvollen Wärme eines nie gesehenen Sterns? Und wie reizend und anmutig Jörg Baberowskis Vintage-Schwimmanzug durch die nachtduftenden Hortensien leuchtete! Ein Proustscher Moment, malvenfarben und tief.
Dankbar erinnere ich mich an all die magischen Momente, in denen wir locker verteilt um die lange Tafel des Refektoriums unsere wahre Heimat feierten: die deutsche Sprache.
Jenes heilige Idiom von Adalbert Stifter, Carsten Maschmeyer und Tim Wiese; jener wunderbare Zauberstab, der “FAZ Kunstmarkt”, ALDI-Mittwochsangebot und die Marschbefehle der Obersten Heeresleitung überhaupt erst in die Welt hebt.
Zwanglos, und nur dadurch erst wahrlich konzentriert, plauderten wir über die Verlockungen des Grenzschlagbaums und die Verwahrlosung an deutschen Wursttheken.
O du Weltkulturerbe Salon mit deinen Récamieren und deinen estnischen Garderobieren auf 400-Euro-Basis! Antidot gegen existentialistisches Ohrensausen, Steueroptimierungstool für den kosmopolitischen Hedge-Fonds-Manager und lyrisch interessierten Bitcoin-Tycoon, Kick-Back-Geschäft mit Distinktion und Dünkel.
Voltaire! Diderot! Rahel Varnhagen von Ense!
Fingerfood! San Pellegrino! Barolo!
Zwiegenähte Budapester! Tweed! Foulard Hermès! Dackelkrawatte!
Wie herrlich, wenn all meine Kunstwerke endlich wieder einmal für ein Wochenende aus dem Schweizer Zollspeicher an die Berliner Luft kommen und unter die Leute dürfen!
Natürlich sollten meine so großzügige wie hocherzige Gattin und ich es als Selbstverständlichkeit betrachten, in unserem Keller stets ein Fitness-Laufband für den Denker mit dem hängenden Augenlid bereit zu halten. Das war unsere Vision von Europa. So beglichen wir unsere Schuld gegenüber Erasmus von Rotterdam.
Welch wunderbaren Sonntagsbrunch uns jüngst noch der Jahreswechsel bescherte, als der hoffnungsvolle Juniorprofessor für neo-leibniz’sche Logik aus dem Exzellenz-Cluster der Bayer-Leverkusen-Universät dem Erbe Wittgensteins in sämtlichen Kyffhäuser-Reden des AfD-“Flügels” nachspürte.
Vielleicht hätten wir eine Woche später etwas ahnen können: Natürlich war Bernd Höckes Impulsreferat über die Figur des rebellischen Waldgängers im Werke Ernst Jüngers eindrucksvoll und mitreißend. Waren wir nicht alle versucht, wie Nachwuchs-Hoffnung Simon Strauss unseren Hobo-Kocher und den Hölderlin in unseren Prepper-Rucksack zu stecken und uns strammen Schrittes aufzumachen in die Wälder Thüringens?
Aber vielleicht war es naiv, drinnen bei Roederer und Canapés au Foie Gras die Wehrhaftigkeit des Bildungsbürgertums zu beschwören, während draußen die jungen Männer aus Höckes Entourage meine kostbare Erstausgabe von Heinrich Heines Gesamtwerk im Weber-Grill auf der Terrasse verfeuerten. Vielleicht hätten wir an ihrem vulgären Lachen ihre wahren Intentionen erkennen können.
Als André Poggenburg und Andreas Kalbitz zum Oswald Spengler-Abend mit unbekannten Klavierstücken von Hans Pfitzner in unseren Wintergarten luden, schien eine Versöhnung aller zerstrittenen Lager noch einmal möglich. War es nicht wunderbar mit anzusehen, wie Jörg Meuthen und Monika Maron eine Sarabande aufs frisch gewachste Mahagony-Parkett legten? Angeregt parlierte ein großzügiger Mäzen der “Jungen Freiheit” mit einem mondän ergrauten ZEIT-Kolumnisten.
Wieder schien für einen Moment ein Geheimes Deutschland möglich. War Kultur nicht allmächtiges Balsam für alle schwärenden Wunden in unserem zerrissenen Land?
Der Salon schien die letzte Rettung vor einem drohenden Bürgerkrieg in unserem Land zu sein.
Doch seit der letzten Intervention der Identitären ist das Maß voll: 20.000 “SS-Piranhas” in meinem Koi-Karpfenteich! Was bitte soll daran Kunst sein?
Der Salon in der Darmschleimerey ist endgültig tot!