Die Veteranen der “French Connection” zeigten ihm, wie man Heroin über den Atlantik schmuggelt. Die Chemiker der Drogenkartelle, wie man Kokain kocht. Nur eines musste Laurent Fiocconi selbst lernen: überleben
Verbrecher wie Laurent Fiocconi gibt es eigentlich nicht mehr. Er ist einer der letzten französischen Ganoven alten Schlages. Im Milieu heisst er nur „Charlot“. Sein Leben ist ein Roman.
Als Kopf der legendären Heroinschmugglerbande „French Connection“ verdiente er Millionen und gab alles aus. Sagt er.
Im kolumbianischen Dschungel kochte er Kokain für die größten Drogenbarone Lateinamerikas. Er war einer der besten Drogenchemiker der Kartelle. Alles Vergangenheit. Sagt er.
Über 20 Jahre saß er im Knast. Drei Mal ist er ausgebrochen. Jetzt ist er in Rente. Sagt er.
Die Polizei will es ihm nicht so recht glauben und nimmt ihn immer mal wieder fest. Bis letzten April saß er im Gefängnis. Nun ist er erst einmal frei, wegen seines Alters und gesundheitlicher Probleme. Er lebt mit seiner kolumbianischen Frau Nine und seinem Sohn Thomas im Haus seiner Großmutter in einem kleinen korsischen Bergdorf.
„Entschuldigen Sie die Einfachheit hier“, sagt Nine zur Begrüßung. „Aber als wir im Luxus lebten, hatten wir nichts als Ärger. So ist es besser.“ Die beiden haben sich vor 45 Jahren in Cartagena kennengelernt, damals, als Fiocconi in Kolumbien untergetaucht war. „Ohne einander hätten wir es niemals bis hierhin geschafft“, sagt er. „Niemals!“
Fiocconi empfängt bei korsischen Spezialitäten und Rosé. Es ist kalt hinter den dicken Mauern. In der Ecke steht ein Fitness-Rad. Fiocconi hat Probleme mit dem Herzen. Der Fernseher läuft ununterbrochen: Ratespiele, Nachmittagstalks. Im Kamin prasselt ein Feuer. Der Rauch duftet nach Macchia. Charlot legt ein Holzstück nach und erzählt sein Leben.
Ihre Mutter verließ kurz nach Ihrer Geburt die Familie. Ihr Vater war korsischer Ganove, ging nach der deutschen Besetzung in den Widerstand, wurde deportiert und kam bei einer amerikanischen Bombardierung ums Leben. Sie wuchsen praktisch als Waise auf. Wie prägte Sie das?
In meinem Leben gab es eine Leere. Meine Großmutter hat sich zwar um mich gekümmert, aber Vater und Mutter fehlen einem trotzdem. Ich habe nie ein wirkliches Zuhause gehabt. Vielleicht bin ich deshalb auf die schiefe Bahn geraten.
Sie waren immer von Verbrechern umgeben.
Weil all meine Onkel korsische Ganoven waren. In diesem Milieu bin ich groß geworden. Damals war das Ambiente anders als heute. Das war nach dem Krieg. Viele Ganoven waren im Widerstand gewesen. Es gab noch Regeln.
Wie sahen die aus?
Du kannst eine Bank ausrauben, aber ohne die Leute anzugreifen, die dort arbeiten. Keine Alten attackieren. Die Frau deines Freundes respektieren. Diejenigen ehren, die im Gefängnis sind. Gibt es heute alles nicht mehr. Heute würde ich kein Ganove mehr werden.
Welchen Geschäften gingen Ihre Onkel nach?
Sie besaßen Bars im Pariser Vergnügunsgviertel Pigalle und Freudenhäuser an der Côte d’Azur. Dort hatten sie das Verbechermonopol. Sie herrschten über alle Kleinganoven. Heute machen die kleinen Fische, was sie wollen. Töten für ein Nichts. Früher war alles viel strukurierter. Meine Onkel wollten kein Chaos. Sie wollten in Ruhe ihre Geschäfte machen.
Und Sie mittendrin.
Wenn ich sah, daß mein Onkel seine Runde in seinen Bars drehte, machte ich die Runde in die entgegengesetzte Richtung. Er wollte nicht, dass mir seine Leute Geld gaben. Ich schon. Erst bekam ich eine Limonade, dann zack, steckten sie mir Kleingeld zu. Und weiter ging’s, in die nächste Bar. Abends hatte ich ganz gut was zusammen. Dann lud ich meine Großmutter ins Kino ein.
Was waren Ihre ersten Jobs im Milieu?
Mit 14 saß ich im Bordell meines Onkels und musste notieren, welches Mädchen wie viele Freier hatte. Für jedes Mädchen hatte ich eine Farbe: orange, minzfarben, grün. Sobald eine mit einem Freier die Treppen hoch auf die Zimmer ging, schrieb ich es auf. Am Endes des Tages zählten wir ihre Freier zusammen, dann wurde abgerechnet.
Welchen Eindruck machten all diese Ganoven auf Sie?
Mich faszinierte vor allem ihre Mentalität. Sie hielten alle zusammen. Alle sehr schick. Anzug und Einstecktuch. Wie Adelige. Und erst ihre Frauen! Pelz und alles.
Verführerisch.
Ich habe dann schnell meine ersten Dummheiten begangen. Wir haben in Pigalle Leute auf den Boulevards ausgeraubt. Mit 13 wurde ich zum ersten Mal festgenommen. Als sie sahen, dass ich weder Vater noch Mutter hatte und bei Ganoven aufwuchs, haben sie mich in ein Heim für straffällige Jugendliche gesteckt.
Was haben Sie dort gelernt?
Nicht lange warten, wenn es ein Problem gibt. Sofort los. Sonst wird es immer schlimmer. Irgendwann musst du sowieso einschreiten. Also besser sofort.
Wie kamen Sie zu dieser Erkenntnis?
Ein Mal pro Woche gab es im Heim Fleisch mit Pommes. Ich liebe Pommes. Wir waren zu fünft an einem Tisch. Am Kopfende saß so ein großer Kerl. 18 Jahre. Ein Schrank. Machte immer Hanteltraining. So einer. Als das Essen kam, schnappte er sich mein Fleisch und meine Fritten und lachte mir ins Gesicht. So ging es ein, zwei Mal. Beim dritten Mal habe ich mir einen Wasserkrug genommen und ihm damit einen drübergezogen. Stirn aufgeplatzt, überall Blut. Danach war ich der Chef und hatte meine Ruhe.
Welche Rolle spielt Angst in Ihrem Leben?
Jeder hat Angst. Ich auch. Aber ich kontrolliere sie. Und in der Aktion verschwindet die Angst. Bevor Sie einen Raub begehen, sitzen Sie im Auto, warten und haben Angst. Aber sobald es losgeht, ist die Angst weg. Sie sind sofort hoch konzentriert.