Spam-Mail. Sofort löschen, sagt das Kleinhirn. Gibt nur Ärger. Computerviren, Passwortdiebstahl, Identitätsklau.
“Lieber, ich brauche einen Investment-Partner”, lautet die Betreffzeile. Eigentlich werde ich misstrauisch bei so einer Anrede. Aber dieses Mal ist die Nachricht einfach zu verführerisch. Absender ist Aischa Ghaddafi, “einzige biologische Tochter des ehemaligen libyschen Präsidenten Col. Muammar al-Ghaddafi”, wie sie schreibt.
Claudia Schiffer Nordafrikas
Schneller Faktencheck: Aischa Ghaddafi gibt’s wirklich. Und sie ist tatsächlich die Tochter des libyschen Diktators. Dazu noch eines der wenigen seiner Kinder, die seinen Sturz überlebt haben. Oh, mein Gott! Ghaddafis Tochter schreibt mir! Gut, ihre Mail-Adresse sieht etwas seltsam aus: ag5125080@gmail.com. Aber egal! Ihre offizielle Adresse haben sicher die Amerikaner konfisziert. Eine echte Ghaddafi! Die “Claudia Schiffer Nordafrikas”, wie sie wegen ihrer blondierten Haare und ihres noblen Profils von den bunten Blättern genannt wurde, bevor sie von der Bildfläche verschwand. Wohin nur? Meine Neugier ist geweckt.
Aischa sucht einen Geschäftspartner, der für sie 27,5 Millionen Dollar anlegt. Nach langer Suche ist sie auf mich gestoßen. Schreibt sie. Natürlich bin ich genau der Richtige, um das Petrodollar-Vermögen der Familie Ghaddafi in einen sicheren Hafen zu überführen.
Ich bin elektrisiert und lege mir augenblicklich eine neue E-Mail-Adresse zu.
Ich liebe es, mir neue Mail-Accounts zuzulegen. Es ist, wie ein neues Leben anzufangen. Ich heiße nun Kevin. Nachname geheim, damit hier niemand auf dumme Ideen kommt. Kevin schreibt zurück und bekommt prompt Antwort. Aischa ist erfreut, mit Kevin Geschäfte machen zu dürfen, braucht aber noch einige unerlässliche Zusatzinformationen. Dieser Bitte komme ich gern nach, denn Aischas Mail-Adresse klingt plötzlich schon sehr viel überzeugender: mrs.gaddadi01@gmail.com.
Kevin stellt sich vor:
“In diesen Tagen handele ich größtenteils mit Holz (sehr interessante Indien-Connection!). Und ich bin gut im Immobiliengeschäft aufgestellt. Aber um ehrlich zu sein, würde ich gern mein Portfolio diversifizieren. Und wo Du es schon vorgeschlagen hast: Gold wäre fantastisch. Aber ich bin auch sehr interessiert am Diamantenhandel. Ganz ehrlich, das wäre mein Traum. Vielleicht hast Du ein paar Verbindungen?”
Es ist der Beginn einer wunderbaren Brieffreundschaft. Exquisites Bonner Holzhändler-Englisch meets Scammer-Pidgin. Bald berichtet mir Aischa, wie es ihr nach der brutalen Entmachtung ihres Vaters im Jahre 2011 ergangen ist. Ich solle bloß nicht der ahnungslosen Weltpresse glauben, die geschrieben hat, sie halte sich aktuell im Oman auf. Diese Fake News habe sie selbst in Umlauf gebracht, um ihre Spuren zu verwischen. In Wahrheit sei sie in Burkina Faso. Aischa lebt allein mit ihren drei Kindern in einem Flüchtlingscamp in Ouagadougou, nachdem ihr Mann bei einer Bombardierung durch die Amerikaner ums Leben gekommen ist. Und ich bin der Einzige, der es weiß.
Von UNO und NATO streng kontrolliert
Burkina Faso habe ihr Exil gewährt, überwache sie aber sehr engmaschig. Sie könne leider nicht frei über ihr Vermögen verfügen, da sämtliche Konten auf den Namen “Ghaddafi” von UNO und NATO streng kontrolliert würden. Um an ihre 27,5 Millionen Dollar zu gelangen, brauche sie nun dringend einen Strohmann, dem sie das Geld überschreiben könne. Das sei zwar etwas kniffelig, aber die kooperative “Bank of Afrika (BOA)” in Burkina Faso sei gern behilflich – in aller Vertraulichkeit. Zur Belohnung stünden mir 30 Prozent zu. 8,25 Millionen Dollar.
Natürlich bin ich außerordentlich geschmeichelt, von Ghaddafis leiblicher Tochter höchstpersönlich als Strohmann auserwählt worden zu sein. Und Aischa bringt mir immer mehr Vertrauen entgegen. Inzwischen hat sie mir ihre Körpergröße verraten (1,77 Meter) und schreibt mir nur noch über ihre Geheimadresse: mGhaddafi506@gmail.com.
Aber tief im Innern, dort, wo die unermesslichen Bodenschätze der Seele auf Sichtung und Bergung warten, bin ich zutiefst enttäuscht, dass Mrs Ghaddafi einen so unpersönlichen Ton angeschlagen hat. Also beschließe ich, diese kalte Investment-Beziehung in einen menschlicheren Austausch zu verwandeln. Der Kapitalismus ist kalt genug. Wer würde dafür eher Verständnis aufbringen als die leibliche Tochter des Islam-Sozialisten Ghaddafi?
In mehr als 50 E-Mails entspinnt sich bald ein hartnäckiges Tauziehen: Aischa versucht, an Kevins persönliche Daten und sein Geld zu gelangen. Irgendwann wird sie einen Vorschuss von ihm verlangen, damit all ihre wunderbaren Geschäfte überhaupt in Gang kommen können. Irgendwann wird sie ihn zur Kasse bitten. Kevin aber will nichts anderes, als Aischas Herz zu erobern.
(Lesen Sie die vollständige Geschichte auf stern.de)
Der gesamte Mail-Wechsel mit Aisha Gaddafi unter folgendem Link