Lifestyle-Pulp. Stefan Fester leidet an “Technophobia” (Junge Welt, 07.08.1998)
„In der Undergroundszene von Berlin, einem Pandämonium aus Loveparade, schrillem Sex und heißem Techno-Beat sucht Peter Pan nach der Frau, die ihn angeblich liebt - und die ihn vernichten will.“
Dabei stolpert er über ein Buch, ein schrilles Pandämonium aus einem hochexplosiven Umschlagfoto, einem grellen Klappentext mit einem heißen Kommafehler und einem geilen Strich, der angeblich ein Gedankenstrich ist - aber jeglichen Gedanken auf den Strich schickt.
Vor Monaten schon habe ich beschlossen, einen ganzen Roman um den folgenden Satz herum zu schreiben: „Für die Verhütung sorgten beide: Sie küßte ihm die Pille von der gepiercten Zunge.“ It´s only rock´n roll, but I like it! Ich aber kann mich wieder mal zurücklehnen und mich beruhigt vollaufen lassen: Das Buch hat Fester schon geschrieben. Um die folgenden Kernsätze herum: „´Hör mal, Woodstock ist vorbei´, protestierte ich schwach, aber sie hatte die Pille bereits durchgebissen, und dann lag sie schwer auf mir und küßte mich. Mit der Zunge schob sie mir meine Hälfte in den Mund. Und ich schluckte sie runter.“ Die Pillen sind zwar etwas andere, Woodstock is´ vorbei, but rock ´n roll will never die: I like it!
Ebenso wie Marcel Reich-Ranicki seit Anpassung seiner dritten Zähne schmatzend den großen deutschen Wende-Roman einklagt, ruft Westbam sicherlich in den Chill-Out-Grotten zwischen Reykjavik und Melbourne nach dem großen deutschen Techno-Opus. Na, schau mer mal:
Ein abgebrühter Moderator einer Nachttalksendung bekommt beunruhigende Drohanrufe, hinter denen ein Techno-Girlie steckt, mit dem ihn kurzzeitig ein dralles Rumgesexe verband, das seinen Ausgang mit einem stehenden Quickfick auf Zilles Grab fand (dadrauf muß man erst mal kommen!). Das Girl ist ziemlich steil im Bett, zeitweise „ein Wesen aus einer anderen Dimension“, manchmal aber dann eher „ein Wesen aus einer anderen Welt.“ Er nimmt sie überall, wo Berlin so richtig die Sau raus läßt: Halt, Tacheles is´ nich´ dabei.
Jedoch man kann nicht dauernd vögeln, einer muß auch mal Schrippen holen. Bzw. Berlin ist groß, aus dem kapriziösen Girlie war keine Telefonnummer zu leiern, man verliert sich aus den Augen. So ist das mit den schnellen Beats. Heat of the Night as usual. Aber das Girlie wollte mehr, wer hätte es geahnt. Eigentlich woll´n wir´s ja alle eher so mellow. Sie fühlt sich im Stich gelassen, die bunten Pillen entkernen ihr komplett die Kirsche, sie dreht immer schneller am Rad und letztlich völlig ab. Die Ekstatische zeigt dem Zyniker jetzt mal eben, wie Schiß inner Buxe riecht, wo der Hammer hängt und wie schnell man denselben loswerden kann. Folgen Mord und Totschlag, wobei allerdings nur ein Perverser und eine afrikanische Putzfrau draufgehen. Der Rest soll Betriebsgeheimnis bleiben. Ging ja noch mal gut.
Der Night-Talker, der alles Leid am anderen Ende der Telefonstrippe abserviert, sitzt also plötzlich selbst auf der Seite von Pipi inne Augen und Muffensausen. Vom Vamp ganz weichgeklopft, findet der gebeutelte Held Halt bei einer mütterlich bekümmerten und ihn auch noch verehrenden Frau. Katja, „die einzige Frau, die zu ihm hält“, wie der unverbesserliche Klappentext weiß. Sie rettet ihm das Leben, indem sie die Bullen ruft, die allen Problemen den finalen Rettungsschuß verpassen. Das macht ein bißchen Dreck, muß aber sein. Die nächste Putzfrau kommt bestimmt, vielleicht sogar aus Afrika. Zwischendurch gibt´s kurze Nachdenklichkeit, die Fünf-Minuten-Besinnung: „Was haben wir falsch gemacht?“ Danach wird wieder gevögelt. Aber nicht mit Katja. Neben den guten Frauen, mit denen man nicht schläft, gibt es noch die Männer, mit denen man sich die Frauen teilt, mit denen man schläft. Stille Männerfreundschaften: „Olli sah mich an, verblüfft, doch dann erkannten wir ein altes Band, das ich längst verloren geglaubt hatte, und er nahm mich schweigend in den Arm.“ Die Frage ist: Können schweigenden Männer mit alten Bändern weinen? Sie können. Erst der eine: „Die Tränen stauten sich schmerzhaft hinter meinen Augen“ und 60 Seiten später der andere: „Olli standen jetzt die Tränen in den Augen.“ Aber zusammen wollen sie nicht weinen, Band hin, Schweigen her.
So sieht die Welt des erzählenden Moderators aus, der folgerichtig Peter Pan heißt und dem selbst eine normalerweise kathartische Schocktherapie aus Blutspermakacke nicht sein Mein-Maserati-fährt-210-schwupps-die-Polizei-hat´s-nicht-geseh´n-Weltbild aus der Rübe schaufeln kann. Dann wäre Fester also ein Moralist? Sieht so aus. „´Du hast was gemacht?´ … ´Ich habe sie gevögelt.´ ´Auf einem Friedhof?´“ Wer auf den Gräbern vögelt, liegt bald selber drinnen. Außerdem: Keine Macht den Drogen: „und sie mir ihre Handfläche entgegenstreckte, mit einer kleinen, gelben Pille zwischen der Lebens- und der Schicksalslinie.“ Sind so kleine Pillen. Es gibt Sätze, da hört man ein ganzes Streichorchester.
Aber egal, das Buch ist ja nur Spaß, schwupp, die Polizei hat´s nicht geseh´n. Fester schreibt coole Dialoge, entwirft echte Roman Noir-Nächte, verbraucht viel Alkohol und Zigaretten in seinem Buch, kann rockige Vergleiche („und mein Herz gebar Babyherzchen, die wie Satelliten auf einer Umlaufbahn um unsere Köpfe schwirrten“), oh yeah, schenkt uns eins der seltenen Easy-Listening-Bilder in deutscher Prosa („diese vorwitzige, kleine Nase, die an der Spitze gefaltet war wie ein Sunkist-Dreieck“) und läßt seine Jungs astreine Macho-Sprüche klopfen. Festers Widmung dagegen ist windelweich: „Durch Katharina“. Katharina ist eine Röhre. Oder die einzige Frau, die zu Fester hält. Aber ich bin schon still, sonst ruft hier morgen eine Frau an, die mich angeblich liebt - und die mich vernichten will.
„Technophobia“ ist ordentlich abgemixter Lifestyle-Pulp. Ein Schuß „American Psycho“, ein Meßbecher „Talk Radio“, alles gut im Hauptstadt-Shaker durchgeschüttelt, Berlin ist wieder was, und fertig ist der Cocktail: „Ein feiner Mix.“ Fester kriegt den Gesellenbrief der Berliner Handwerkskammer für Metropolenkrimis.
Es kann einem allerdings legitimerweise auf den Sender gehen, daß es seit Ellis immer mehr Schnösel gibt, die hinter dem Paravent einer zynischen Erzählfigur ihrer verschämten Faszination für Kaschmir-Flusen, Luxus-Suiten und mundgeblasene Designer-Kondome aus biodynamisch gezüchtetem Naturlatex mit Caipirinha-Flavour freien Lauf lassen. Oder meinetwegen andersherum: Die Sprengkraft ist jetzt raus. Noch ein Markenname in deutscher Prosa, und der Autor fliegt aus der Künstlersozialversicherung! Auch Du, Kracht!
Phobia gibt´s ordentlich. Aber der Techno kommt zu kurz, und Westbam wird enttäuscht sein. Festers Flirt mit der Club-Szene geht in die Hose. Zuerst die Musik: Entweder dazu tanzen oder neben die Boxen stellen und Girlies/Boyies gucken. Bitte keine Meinung dazu haben. Und bitte nix mehr über „pulsierende Bässe“, „Blitzlichtgewitter“, „gespenstisches Schwarzlicht“, „trockeneisneblige Vorräume“, Ganglienexplosionen, Synapsenvibrationen, Endorphinausschüttungen, Hirnzellensupernovas, Soundgalaxien und was weiß ich noch. Is´ ja schlimmer als J. Kaisers alljährliches Ejakulat zu den Salzburger Festspielen.
Auch das pittoreske Abenteuer Nightclubbing hat seinen exotischen Reiz eingebüßt, seitdem man auf der Herrentoilette vom Tresor aufpassen muß, daß man nicht in Landowsky oder Schönbohm oder irgendeinen Auswechselsenator rennt, die hier mit den Ravern der Welt Blutsbrüderschaft pinkeln. Und wenn ich sage Herrentoilette, bin ich noch höflich, gelle, Klausimausi. A propos Tresor: „tief unter dem Potsdamer Platz versteckt, zu erreichen nur durch eine Geheimtür in der Oberwelt-Disco Globus.“ Genau. Wie der völlig abgefahrene Alexanderplatz da drüben, tief unter dem Himmel über Berlin versteckt, zu erreichen nur durch einen Geheimgang in der U-Bahn-Station Alexanderplatz. Nein, nein, diesen mythenlöckerischen, nabelfreien Unsinn von der mysteriösen Clubunterwelt heben wir uns für das nächste „Anders Reisen Berlin“ auf. Das wollen wir nicht auch noch in Romanen haben.
Was wir aber wollen, das sind bewußtseinserweiternde Erfahrungen. Möglichst im Bereich der Sexualität, wo es immer noch interessante Phänomene zu beobachten gibt: „In meinen Hoden spürte ich bereits das warme Kribbeln der aufsteigenden Spermien als Vorboten meines Todes, bis ich über den Techno-Lärm hinweg auf einmal eine Wohnungsklingel hörte.“ So was will ich auch spüren. Jetzt sofort. Steiget auf, warm-kribbelnde Spermien! Und wehe, dann klingelt jemand!
Stefan Fester: Technophobia. Roman, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1998, 304 S., 16,90 DM