Stephan Maus

Giuseppe Culicchia: ‘Kommt gut’ (FAZ)

Voll daneben. Giuseppe Culicchias Roman “Kommt gut” (FAZ, 27.03.99)

Alle Welt hat inzwischen ihre Jungen Wilden. Da wollte auch die italienische Gegenwartsliteratur nicht hinterherhinken und rekrutierte ein Bataillon Jung- und Jüngstautoren, an dessen Spitze nun Giuseppe Culicchia mitmarschieren darf. Er debütierte mit dem Roman “Knapp daneben”, der in den Literatur-Top-Ten derart in die Vollen langte, daß mit “Kommt gut” prompt die Fortsetzung der Geschichte des Anti-Helden Walter nachgelegt wird. Walter strikes back. Morgen dann vielleicht Walter featuring in “Echt cool”, “Haut rein” oder “Knallt krass”.

Seit J. D. Salingers “Fänger im Roggen” tunken die weltweit Pubertierenden periodisch ihren Federkiel in den Clearasil-Tigel und berichten nonchalant und locker crisp-flockig über das interessante Klima unterhalb ihres Gürteläquators, ihren Ringelpiez auf dem Uni-Campus, den aktuellen Pegelstand ihres Hormonspiegels und ihren Freischwimmer im Haifischbecken der freien Marktwirtschaft, von der man auch nichts geschenkt bekommt, außer den Biß in den noch zarten Kinderpopo, wie jeder weiß. Den Erwachsenen fällt dann dazu gutmütig-lächelnd “Bildungsroman” ein, und die Kids können für einen Abend etwas anderes als die eselsohrige Bravo-Foto-Love-Story lesen.

Diesmal also Walter aus Italien. Er verdient sich seine Pasta mit einem von diesen Generation X-Jobs in einer Buchhandlung, wird “Besitzer eines Bankkontos”, muß mit eigenen Augen die Kündigung seines Mietvertrags ansehen, muß mit eigenen Beinen sehr, ja, verdammt früh aufstehen, bändelt mit einem von diesen teutonischen Ökogirlies an, die hierzulande schon lange im kabarettistischen Restmüll gelandet sind, läßt sich ein rücklings nässendes Muttermal entfernen, reist seinem Müsli-Riegelchen made in Germany nach Finnland hinterher, um ihm dort die Rosinen herauszupicken, blickt unter´m Nordlicht in den weißen, unendlich weißen Schnee, spürt seine Zehen erkalten und sein Herz gleich mit, reist zurück nach Italien und steigt zum parfümstinkenden Geschäftsführer der Buchhandlung auf, die sich im Laufe der Handlung evolutionstheoretisch stringent zur Videothek weiterentwickelt hat. Was man augenscheinlich bedauern soll, angesichts von Büchern wie dem vorliegenden aber nicht wirklich kann.

“Kommt gut” ist eine schlabbrige und irgendwie gesellschaftskritisch gemeinte Nummernrevue und kommt krass uncool. Enttarnt wird u.a. das Maklerwesen allgemein, die Vorweihnachtszeit im besonderen und resümierend und themenübergreifend letztendlich der medizinisch prekäre Status von Kassenpatienten, gnadenlos. Lustige Autos mit Kuschelappeal kommen auch vor, total verbeult, klapprig und eingedellt. “Dafür florierte dank meiner die Versicherungsbranche”, hihi. Während so einiges floriert, gruppieren sich 150 Seiten zwanglos zu 5 Kapiteln und 25 Unterkapiteln; im 6. Kapitel schafft es der Autor dann, in nur neun Seiten von 0 auf 15 Unterkapitel zu kommen. Respekt. So wird 140 Mal das dramaturgische Schema “Er kam, sagte und ging” abgespult.

Der Text ist strukturiert wie ein Schreibmaschinenkurs und bewegt sich stilistisch auf ähnlichem Niveau. Verbeult, klapprig und eingedellt. Culicchia steht auf seiner wurmstichigen Kleinstkunstbühne, der Scheinwerfer blendet ihn, Schweißperlen glänzen auf seiner Unterlippe, die Lüftungsanlage brummt, und in der letzten Reihe döst ein hüstelnder Handlungsreisender, während draußen im Regen langsam das Promotionplakat zur Vorstellung aufweicht: “Giuseppe Culicchia ist die italienische Antwort auf Samuel Beckett, T. C. Boyle und Charles Bukowski.” Aber immer. Weil Beckett nämlich die irische Antwort auf die wilhelminische U-Boot-Flotte, den reifen Caruso und den BIC-Einweg-Rasierer war. Der dtv hingegen ist der verlegerische Vergeltungsschlag für das Abschmelzen der Polkappen und wirbt deshalb, bis zum Halse im Wasser stehend, auf den Restseiten des Buches für … T.C. Boyle und Charles Bukowski. Beckett hat man leider nicht in der Back-List.

Wie schreibt denn nun so ein Giuseppe Coraghessan Beckowski? So z.B.: “Der Geschäftsführer flog von einem Regal zum anderen wie ein brünstiger Wiedehopf - wenn Wiedehopfe denn brünstig werden.” Nun, mit der Masche kann man natürlich Surrealismus zusammenschneidern wie eine anästhesierte Nähmaschine im Schatten eines spitzknochigen Regenschirms - wenn Nähmaschinen denn… Apropos Textilien: der auf den ersten Blick sympathische Satz: “Auf dem Teppich vögelten zwei Lappen” verliert leider seine poetische Sprengkraft, wenn man weiß, daß die Szene in Finnland spielt. Der Held könnte den Leser allenfalls noch als urologischer Sonderfall fesseln: “Sie zog meine Hose runter. Sie zog meine Unterhose runter. Der Schwanz schnellte ihr genau vor die Augen. Tropfend. Blau angelaufen. Entsetzlich.” Tropfend? Jetzt schon? Von mir aus; - der Lymphknoten in meiner rechten Leiste schwillt übrigens bei Erregung im Rhythmus der Allemande der 1. Französischen Suite von J. S. Bach an & ab. BWV 812, pochend. Entsetzlich.

Das war´s auch schon an bemerkenswerten Passagen; der Rest ist Auslegware. Und mit Dialogdämmstoff à la “Wie bitte? - Einverstanden! - Sage ich doch!” kriegt man die Hohlräume eines wackligen Prosaverhaus natürlich auch dicht. Alles ohne Mark und Muskeln, alles brüchig, bröckelig, bröselig: Osteoprosa. In diesem Vaudeville auf dem Stand des literarischen Paläolithikums schwingt dieselbe diskrete Ironie mit wie in der automatischen Nummernansage der Telekom. Culicchias Running-Gags hängen schon schwer asthmatisch in den Startlöchern und müssen trotzdem Runde um röchelnde Runde um´s Spielfeld drehen. Bevor sich ein Humor schwarz anpinselt, sollte er erst einmal dafür sorgen, daß er auch Humor ist; hier ein Satz aus einer verschmitzten Placebo-Satire über einen Zahnarzt: “´Gut, gut´, antwortete der Arzt, der in meiner Phantasie mittlerweile die Züge von Joseph Mengele angenommen hatte.” Ja, ja, unser Joseph, der alte Schelm. Muß man in Italien nach dem II. Vatikanischen Konzil noch Sätze wie diesen schreiben: “Aber Tatjanas Möse fing kein Feuer”?

Culicchia quasselt blindlings so integral belangloses und unsinniges Zeug, daß er auf jeder mittelmäßigen Party schon nach fünf Minuten alleine in der Küche stünde und unerkannt die Oliven aus den Salaten picken könnte. Über Italien sagt der Text so viel wie die Menü-Karte von Pizza Hut: “Die Lira geriet ins Trudeln. Die Inflation galoppierte … Das Land schien kurz vorm Bankrott.” Hui, hui, wenn das Signore Lafontaine liest, steckt er sofort sein Zepter ins Räderwerk der Euro-Pressen. Schließlich und endlich: Seit Bret Easton Ellis´ “American Psycho” ist es ohne jeglichen originellen Reiz, Konsumkritik durch bloßes Herunterbeten von Markennamen auszuüben. Literatur ist mehr als sonntäglicher Schaufensterbummel!

Wenn wir heute solche Romane gutheißen, setzen uns morgen die Script-Girls von “Gute Zeiten, schlechte Zeiten” ihre Set-Notizen als lakonisch-feministische Avantgarde-Prosa ganz in der Tradition des seligen Donatien Alphonse Francois de Sade vor.


Giuseppe Culicchia: Kommt gut. Roman, Dtv, München 1998, 152 S., DM 14,90