Söhnlein brillant: Hanif Kureishis schaler Kiddie-Roman “Gabriels Gabe” (FAZ, 01.10.01)
Gabriel ist fünfzehn und nicht auf den Kindskopf gefallen. Sein Vater David ist ein alternder Rockmusiker, ehemaliger Gitarrist in der Band des legendären Glam-Rockers Lester Jones, ein Prosa-Klon von David Bowie. Gabriels Mutter erträgt die Lethargie des nostalgischen Altrockers nicht mehr und wirft den Hänger aus der Londoner Wohnung. Das Wunderkind Gabriel braucht nicht mehr als 250 Seiten, um den schon ziemlich bemoosten väterlichen Rolling-Stone und die Mami mit Zellulitis-Erfahrung wieder zusammenzubringen. Dabei reift er selbst zur hoffnungsvollen Künstlerpersönlichkeit. Gabriels nichtsnutziger Loser-Vater wandelt sich vom versoffenen Slacker zum einfühlsamen Musiktherapeuten für verzogene Upper-Class-Söhnchen. Kureishi verschreibt seinem Roman eine Happy-End-Therapie. Helfen tut sie dem schwächelnd-kränkelnden Text nicht.
Der britische Autor Hanif Kureishi steuert zielstrebig auf die Fünfzig zu und hat auch Söhne. Sein neuer Roman liest sich wie das Erlebnisprotokoll eines stolzen Vaters. Was für die Gesellschaft fruchtbar ist, muß es nicht für die Literatur sein. Ein Vater-Sohn-Dialog kann schon für die Involvierten arg anstrengend sein. Als Lesestoff bekommt er schnell den schalen Beigeschmack generationsübergreifender Verständigungstexte. Die Abenteuerchen von Kureishis Bübchen Naseweis weisen alle Qualitäten auf, die Großtanten und Patenonkeln an der sonntäglichen Kaffeetafel ein zärtlich-nachsichtiges Lächeln zwischen die Kieferknochen zaubern würden. In seichtem Parlando perlt der Text daher, bieder und mittellustig wie die literarisch angehauchte Glosse eines progressiven Elternmagazins. „Gabriels Gabe“ ist eine Art Bildungsroman im Format einer ermunternden Elternbroschüre.
Gabriel muß nicht nur erwachsen werden, er will leider auch noch Künstler werden. Der süße Fratz ist kreativ. Ein Treffen mit der gut gealterten Pop-Ikone Lester Jones zerstreut alle künstlerischen Selbstzweifel und gibt ihm Kraft zum Malen. Das kleine Genie fühlt sich klischeegemäß dem lodernden Wahnsinn bedrohlich nahe, aber der Superstar mit den polychrom irisierenden Augen spricht ihm Trost zu: „´Och, alle sind irre. Aber manche können mit ihrem Irrsinn interessante Dinge machen.´ Lester sah David an. ´Du hast Talent, das sag ich dir… und das vergißt du gefälligst nie wieder.“ Zeichenstunde und Ego-Coaching mit David Bowie. Die Malerei begeistert Gabriel, doch am liebsten möchte er Filme machen: „Geschichten in Bilder verwandeln, ein Traum, den er weitergab: das war der wahre Zauber, den Gabriel erleben wollte.“ Spätestens hier wird klar, daß sich der erfolgreiche Drehbuchautor Hanif Kureishi nicht entblödet, mit „Gabriels“ Gabe die Genese seiner eigenen Berufung zum Cineasten zu erzählen.
Das ästhetische Programm des löblichen Teenies ist anspruchsvoll: „Billiges Videomaterial lehnte er ab.“ Mit Hilfe solch billigen Textmaterials phantasiert sich Kureishi die blutleere Silhouette eines kreativen Wunderkindes zusammen, dem die Theorie der ästhetischen Avantgarde schon in die Wiege gelegt wurde: „Schöne Bilder, die früher noch die Leute schockierten, hatten ihre Kraft eingebüßt.“ In harter Nachtarbeit verdient sich das sensible Trennungskind seine Kreativ-Biographie: „Er ging an den Malschrank. Die Nacht verging. Er blieb bis zum Morgen auf und arbeitete.“
Gabriels künstlerische Lehr- und Wanderwochen - denn länger dauert seine Reifung zum Artisten nicht - werden erleichtert durch Papis Kontakte in die glamouröse Londoner Show-Bizz-Szene. Die wartet mit überschäumenden Magnum-Portionen von banalen Künstlerweisheiten auf, die Kureishi seinem Leser als tiefe Wahrheiten über das Wesen der Kreativität verkaufen will. Der dauerkreative Rockstar Jones liebt ihn, der gemäßigt schwule Promi-Restaurateur hat einen Narren an ihm gefressen, und der millionenschwere Film-Produzent hat noch eine alte 35mm-Kamera und einen Bastelschränkchen voller Binsenweisheiten für ihn in der Garage: „Warum sollte man etwas machen, das einem zuwider ist?“, fragt er zwischen Dritt- und Viertwagen hockend.
Zu solchen Selbstfindungsfloskeln serviert Kureishi die flachen Lebens-Maximen des schluffigen Rockmusikanten David, dessen Weltsicht sich aus drei Akkorden zusammensetzt. Am schlimmsten jedoch sind die pädagogischen Erweckungspredigten des klampfenden Klangtherapeuten: „Lesen ist übrigens ziemlich interessant. Ich wünschte, ich hätte mehr gelesen, statt vor der Glotze oder im Pub rumzuhängen.“ Manchmal können Pub und Glotze allerdings wesentlich interessanter sein als Lesen…
Die Dialoge in Kureishis Roman klingen wie der Erfahrungsaustausch auf einem Elternabend eines antiautoritären Kinderladens. Die Frühstücksidyllen samt neckischen Sticheleien und Knuffen in die Nierengegend erinnern an Margarine-Werbung. Fettarm und cholesterinbewußt, Slim-Line-Literatur. Gabriel hat nichts als das Glück seiner Eltern und die hehren Belange der Kunst im Kopf. Dieser minderjährige Prosa-Scherenschnitt wird nirgendwo durch das Ziehen einer erwachenden Sexualität zerknittert, was nicht zu seiner Glaubwürdigkeit beiträgt. Sondern von Kureishis unrealistischer, verkitschter Sicht auf die „Kids“ zeugt.
Zu allem grotesken Überfluß ist Gabriels telekinetischer Karriereberater der Geist seines verstorbenen Zwillingsbruders Archie, der ihm immer im richtigen Moment die richtige Farbtube reicht. „Gabriels Gabe“ handelt von Selbstverwirklichung, Erwachsen-, Älter- und Häßlicherwerden und nicht zuletzt von effizienter Paartherapie. Alles Themen, über die ein Wochenend-Workshop auf dem Lande lehrreicher informiert als dieser Roman. The world according to Gabriel ist putzig, süß und kitschig. Völlig zu Recht bekommen minderjährige Schlaumeier wie er auf dem Heimweg aus der Schule von ihren Mitschülern die chronische Tracht Prügel. Der Glamour der kreativen Falschmünzer soll wenigstens seinen gerechten Preis haben. Gabriels Autor hat es mittlerweile bis auf das Cover der September-Ausgabe des deutschen Playboy gebracht.
In Kureishis London herrscht inzwischen die gleiche Atmosphäre wie in Berlins neuer Mitte. Cool Britain ist übersät mit schicken Bars „wo junge Menschen das tun konnte, was sie am meisten beglückte: sich selbst und andere in zahlreichen Spiegeln betrachten.“ Mit „Gabriels Gabe“ ist Hanif Kureishi endgültig im Neuen London und bei intimistischer Selbstbespiegelung angekommen. In Filmen wie „My beautiful laundrette“ und „Sammy and Rosie get laid“ brannten Londons Vorstädte und der Drehbuchautor Kureishi zeigte noch revolutionäres Feuer. Heute köchelt er privates Beziehungsratatouille auf einer kleinen, gemütlichen Flamme, um die sich schließlich wieder alle Parteien in trauter Eintracht versammeln.
Am Ende des Romans dreht Gabriel seinen ersten Film – mit fünfzehn: „‘Kamera ab!’ rief er. ‘Kamera ab! Und – Action!'“ Auf eben diese Worte ist Kureishis gesamtes Werk ausgerichtet. Wie viele der vorangegangenen Romane und Theaterstücke wird sicher auch sein neuestes Buch verfilmt werden. Zur Not sorgt schon Kureishis Kumpel David Bowie oder einer der befreundeten Filmproduzenten dafür. Der Roman „Gabriels Gabe“ ist die überflüssige Vorstufe zum Filmskript, die man getrost überspringen kann.
Hanif Kureishi: Gabriels Gabe. Roman, Kindler Verlag, Berlin 2001, 297 S., 39,90 DM