Brunftgesänge eines überhitzten Lesegrottenolms. Jorgi Jatromanolakis’ Schwellkörperkompendium “Erotikon” (SZ, 10.10.01)
Griechenland ist Buchmessenschwerpunktthema 2001, Sex ist Menschheitsschwerpunktthema seit Alphabetisierung des Primaten. Da konnte die fruchtbare Schwerpunktkombination nicht lange auf sich warten lassen. Jorgi Jatromanolakis ist 61 Jahre alt, Professor für Klassische Philologie an der Universität von Athen und bebt offensichtlich im auratischen Spannungsfeld von mighty Aphrodite. In seinem „Erotikon“ hat er allerlei Zeugnisse über das Steigen und Sinken der Körpersäfte kompendiert und persifliert. Das hätte nun das fröhliche Wissenschaftsprodukt eines honorablen Akademikers werden können, der mit Sachkenntnis und Forscherdrang im Laufe seiner Lehrjahre seine Klassiker durchgeht, immer wieder auf eine frivole Stelle stößt und diese sachkundig in die Evolution der Liebeskunst einordnet, kommentiert und zu einer lehrreichen, skurrilen Anthologie bündelt.
Doch der Professor ist ein Geck, der Eros flieht die Fußnote wie das Starmodel die orthopädische Einlegesohle, und das „Erotikon“ wurde zu jenem sehr, sehr „bescheidenen Werk, doch freudvoll dargereicht einer hochedlen, äusserst gelahrten und alleranmutigsten Dame“, wie der brautwerbende Autor in der Widmung mit seinem gar drolligen Dilettantismus kokettiert. Dieser Klang einer Sprache im rauschenden Rüschengewand durchzieht nun das Sammelsurium des „Jorgi Jatromanolakis aus Kreta, Dottore di Filosofia: Con licenza de´ Superiori, & Privilegio“. Il Dottore beliebet zuweilen mit den Äuglein zu zwinkern.
Dr. phil. coit. Jatromanolakis ist mit Hormonüberdruck und erregt pulsierender Zirbeldrüse durch seine Institutsregale geschlendert, hat hier einem freizügigen Thraker untern Schutzumschlag gelangt, da einem wilden Äthiopier durch den Annex gefuhrwerkt, dort einen freizügigen Perser mit weit gespreizten Seiten unter den Kopierer gelegt und sich aus dem sexy begnadeten Textkorpus der „Altvorderen“ zusammengeklaubt, was ihm in die fahrigen Finger kam. An den Fundstellen hat sich der Altphilologe mit chronischem Metaphernstau parodierend abgearbeitet und serviert nun einen launigen Erguß literarischer Travestien: Tutti frutti con Putti in der Fakultätsbibliothek. Der akademische Hallodri bläst zum Halali auf scharfe Stellen in seinen Papyri, und alles, was bei Drei nicht im hintersten Winkel der Regale ist, wird zwanglos verwurstet. Dabei ist die frivolste Leistung des „Erotikons“ die schamlose Unterschlagung aller Quellen. Man liest ein Textcocktail, von dem man nur vage erahnen kann, aus welchen Quellen es sich speist: „Einige Stellen des Textes habe ich getreulich aus den fremdsprachigen Schriften übersetzt, andere (aus uralten Sammlungen) unserer Vertrautheit angepaßt, wieder andere habe ich entnommen und auf Grund meines eigenen Bedürfnisses und meiner menschlichen Natur bedacht.“ Kurz: ein unverschämt zusammengestoppeltes und mit heißer Nadel vernähtes Text-Patchwork.
Gegen intelligentes Spiel mit der modischen Intertextualität ist im Grunde nichts einzuwenden. Doch möchte man sich in einem solchen Falle auch am freien Spiel zwischen den Textkomponenten und Anthologiefragmenten erfreuen können. Ein parodistisch übertünchtes Mosaik aus den frivol bemalten Scherben der Antike ist nur noch beliebig. Der Lustgewinn bei einer Parodie kann einzig aus der Spannung zwischen Original und seiner imitierenden, kritisierenden oder übertreibenden Verfremdung entstehen. Klingt die Parodie exakt wie das Original, ist der Leser mit einer Abschrift besser bedient. Abschreiben ohne Quellenangabe jedoch nennt man Urheberrechtsverletzung, auch wenn die Bibliothek von Alexandria schon seit über 2000 Jahren niedergebrannt ist.
Jatromanolakis betrachtet die Universalbibliothek als Selbstbedienungsladen und Eros-Center in Ramschlaune. Warum ihn das Thema Erotik zu einem schelmisch archaisierenden Tonfall inspiriert hat, läßt sich nur mit biederer Verklemmtheit erklären. Der hochgelahrte Schwerenöter will nicht unlocker sein, doch kann er über kauzige Stellungen und stimulierend brodelnde Sexualelixiere nur unter dem Deckmäntelchen der shakernden Sprachtravestie schreiben. Wer statt „bist du spitz wie Nachbars Lumpi“ formuliert „quält dich aber deines Samens Fließdrang“, hält sich für einen besonders neckischen Spaßvogel und sagt am Telefon bestimmt auch „alldieweil“. Ähnlich pubertär ist das verschmitzte Vergnügen, primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale mit unzähligen abgegrabschten und befummelten Metaphern aus der Rumpelkammer des erotischen Diskurses zu belegen. Blumig seufzt der Blümchensex. Und immer schön waschen vor dem Beischlaf.
Manieriert huscht der wortklauberische C4-Casanova von verschnörkelter Rokokokopulation zu liebreizend gurrendem Schäferstündchen, flicht manch dekoratives Wortkränzchen am feuchten Rande der erogenen Zonen, und immer wieder versucht sich der frivole Bibliotheksmolch im barocken Brunftgesang des überhitzten Lesegrottenolms. Linguistische Raritäten werden in Jatromanolakis´ Coitus intellectus zum Selbstzweck. Unter dem Diktat der ermüdenden Metaphern-Präpotenz wird der Phallus zum „Schilfrohr“ zur „Pflugschar“ zum Irgendwas-Hauptsache-spitz-zulaufend-und-selten-so-gelacht. Der Pfiffikus praecox aus Kreta präsentiert seine drollig-anzüglichen Preziosen mit demselben Stolz wie die Großtante ihre Lieblingssammeltassen. Die gleiche Energie, die diesen verbeamteten Honorar-Don-Giovanni dazu antreibt, seinen Text auf alt zu trimmen, spornt den Antiquitätenhändler an, falschen Wurmstich in seinen Plunder zu bohren. Besonders peinlich aber wird es, wenn in Würde ergraute Männer pennälerhaft den Frauenkenner geben.
Bei einem vollmundigen Titel wie „Erotikon“, der die lesenden Lippen gleich zwei mal zum verheißungsvollen Kußmund formt, würde man auch gerne ein wenig die eigenen Säfte steigen spüren. Das gehört zum Kaufargument. Doch was steigt, ist nur die Ungeduld. Der Text ist nervig wie ein geschwätziges Vorspiel und hat den Sex-Appeal einer städtisch geförderten Erotik-Stunde am Sonntagvormittag in der Kreisbibliothek. Monoton reiht Jatromanolakis einen erotischen Imperativ an den anderen, was dem „Erotikon“ den Charme einer Ikea-Montieranleitung verleiht: verzahne, verspunde, vernute, verfedere… Heraus kommt die wackelige Kiste einer Kuckucksuhr des Liebesaktes mit ihrem hirnvergessenen Rein, Raus, Rein, Raus. Doch eigentlich weiß man die ganze Zeit über, daß all die gymnastischen Verspundungen sowieso nicht halten können: „Nun vollbringe einen Handstand auf dem Ross, fähiger und geübter Reiter, der du bist, und klebe deine Lippen entweder an die Vulva deiner Dame oder an ihren schwarzen Seeigel, der da sich reibt und überströmend nass an dem Rücken schleckt, der euch beide trägt.“
Jatromanolakis´ Thema ist naturgemäß fruchtbar: sein antiquierter Wortschwall ist gewaltig und stolziert in reichem Gepränge daher, die verschrobene Syntax gebückt vor Altersschwäche. Der vorzügliche Übersetzer Norbert Hauser hat Unglaubliches vollbracht. Der Text klingt, als wäre es dreihundert Jahre alt. Aber warum dann nicht gleich eine barocke Übersetzung von Ovids „Ars amandi“ lesen? Doch das ändert nichts an der Tatsache, daß die einzige wahre Kunst des „Erotikons“ in der Fertigkeit des Übersetzers liegt. Daß er nicht einmal namentlich im Buch erwähnt wird, sondern nur auf einem losen Beipackzettel, paßt zum zwanglosen Umgang mit dem Recht an geistigen Originalleistungen in diesem Buch.
Der Klappentext zu dieser Kamasutra-Klitterung träumt davon, daß der Band auf dem Kopfkissen der Geliebten landet. Die Dame von Welt aber wird sich bedanken, denn das Weib, „amorosa oder in der Ehe Angetraute“, ist in diesem Satyrmätzchen nur handzahme Manövriermasse in den Spielchen der chronisch priapeischen Faune: „Sollte es dich danach gelüsten, mit ihr auf der Straße zu kopulieren, so bitte sie darum, und es wird geschehen, und willst du sie in des Platzes Mitte bespringen, so tue es ohne Zögern, und halte sie so nach deinem Gebote und deinem Geheiß fünf Jahre lang an dich gebunden.“ Der bogenspannende Eros schießt manche Wallung in die Herzen und manch multiplen Unsinn in die Hirnwindungen; - und ist der willkürliche Nonsens-Generator erst einmal angeworfen, kann ihn so schnell nichts mehr bremsen.
Man möchte lieber nicht wissen, wie es in Schlafzimmern zugeht, wo das „Erotikon“ auf dem Kopfkissen ruht. Im Nachttischschublädchen liegt hier bestimmt auch das Alte Testament in einer Szenesprache-Adaptation aus den frühen achtziger Jahren, und der Liebesakt vollzieht sich mit untergelegten Reclam-Heftchen. Das „Erotikon“ taugt bestenfalls als Schmunzellektüre für die letzte Griechischstunde vor den Sommerferien in einem liberalen humanistischen Gymnasium, wenn die Nachbarklasse schon das „Alexis Sorbas“-Video in Beschlag genommen hat.
Verkauft wird das Produkt hochgelahrter Altherren-Humorigkeit als Prachtband. Selbst die Serifen des Marketing-Textes tänzeln manieriert über den Pappschuber: „In liebevoller Prachtausstattung mit einem Einband aus roter Seide, in Acetatfolie eingeschlagen.“ Der Typograph hat den Satzspiegel mit manch neckischem Majuskel geschmücket, deren sinnliche Rundungen für den steifen Humor entschädigen sollen. Dieser Luxusband der Kategorie „Schöner Vögeln“ kostet 78 DM und ist nicht einmal fadengeheftet. Was wohl „Sex sells“ auf Altgriechisch heißt?
Von der Kunst, auf einem galoppierenden Pferde- oder bockenden Eselsrücken zu schwengeln oder auf schwappender Wasseroberfläche zu dengeln, bis hin zu Kräuterhex-Rezepten für die weltweit begehrte Dauererektion finden sich 32 barock-verquaste Ratschläge zur Gestaltung eines vermeintlich sinnlichen Lebens in Jorgi Jatromanolakis´ Buch. Der wichtigste Tip fehlt: „Wie du in Tat und Wahrheit einsparest ganze 78 Deutschmärker, welchselbige du nach Gusto und Wohlgefallen kannst fließen lassen in ein gar lustbringend Symposion mit deiner amerosa vulgo Beischläferin oder deinem süßküssenden Ehegespons.“ Guten Appetit.
Jorgi Jatromanolakis: Erotikon, Aus dem Neugriechischen von Norbert Hauser, DuMont Buchverlag, Köln 2001, 256 S., 74 Mark