Stephan Maus

Lucía Etxebarría: ‘Beatriz und die himmlischen Körper’ (FAZ)

Höllischer Knallkörper: Lucía Etxebarrías Roman “Beatriz und die himmlischen Körper” (FAZ, 16.11.01)

Die hübsche Beatriz de Haya steht kurz vor dem anstrengenden Eintritt in die Erwachsenenwelt und hat noch ziemlich starke Akne auf der Seele. Ihre epileptische Gluckenmutter will sie noch nicht freigeben, ihr Vater interessiert sich schon seit Jahren nicht mehr für die hysterischen Frauen seiner Familie. Die revoltierende Nestflüchterin stutzt sich ihre Frisur, färbt die Reste lila, schnürt ihre Springerstiefel und sucht Unterschlupf bei ihrer besten Freundin Monica, einem Feger, der alles dransetzt, auf dem heißen Pflaster des nächtlichen Madrids zu verglühen.

Beatriz ist in Monica verliebt und macht alles mit, was dem Riot-Girl durch die drogengetränkten Hirnloopings donnert: Zusammen mit dem Kleindealer Coco verticken die beiden Kapseln, Faustfeuerwaffen und Pülverchen in allen Spektralfarben. Heroin heißt in diesen Kreisen einfach nur H, sprich „eitsch“. Läßt die Kondition etwas nach, verschwindet das Romanpersonal kurz auf dem Frauenklo, schnupft eine Line „beschissenes Kokain“ vom geschlossenen Klodeckel, küßt sich auf den halb geöffneten Mund, und weiter geht´s im existenzverzweifelten Text. An die Nachtschwärmer werden Drogen verdealt, an den Leser zusammengeklitterte Klischees vom tobenden Leben der jungen Wilden im Mittelmeerraum. Die spanischen Machos tragen ihren bitteren Speichel in der Backentasche und trachten nur danach, ihn mit Beas zu vermengen. Die Bande treibt es immer toller, Blut fließt, so ein kleinkrimineller Ménage à trois ist überaus anstrengend. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Doch sie tanzen nur einen Sommer.

Als Coco mit einer Überdosis über dem Bidet in einem Stundenhotel zusammenklappt, zieht sich Monica zu einem ihrer zivilisierteren Verehrer, Sparte BWL, zurück, und Beatriz verfällt in tränenreiche Depression. Fräuleinwunder am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ihr Vater sourct das nervige Familienproblem ins Literaturdepartement einer schottischen Universität aus. Die Erweiterung der Sprachkenntnisse hatte schon immer eine sedative Wirkung auf die überspannte Jugend. Beatriz verzweifelt fast am meteorologischen Gefälle Edinburgh-Madrid, beginnt aber bald eine trostspendende Beziehung mit Cat, deren Name allein schon katzenhaften Kuschel- und Schnurrappeal ausstrahlt.

Sporadisch würzt Beatriz ihr lesbisches Idyll mit animalischem Heterosex mit einem blasierten Sproß des schottischen Hochadels, der auch so einiges mitgemacht hat, eine tolle Plattensammlung hat und in dem Roman die Rolle des desillusionierten aber um so auratischeren Dandys gibt. Der würzig riechende Seelenverwandte lockt sirenengleich: „Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis, ihn zu spüren, im Takt dieser wohlklingenden Stimme zu tanzen, mich von seiner testosteronhaltigen Strömung mitreißen zu lassen.“

Doch das Leben ist ein disharmonisch pfeifender Dudelsack, es ist was faul in den moorigen Herzen der Menschen, und Mr. Ralph Scott-Foreman sieht sich veranlaßt, aus der Weisheit seiner jahrhundertealten Familientradition ziemlich torfige Sentenzen zu destillieren: „Wir sind alle einsam, sagte er. Je eher du dich daran gewöhnst, um so besser.“ Ene, mene, miste, es rappelt in der Beziehungskiste: „Beatrice … Er wollte nicht mein Dante sein.“ Das Herz ist ein einsam vor sich hinköchelnder Jägereintopf. In splendid isolation dissertiert Euer Lordschaft junior über Rembrandt und hört avantgardistischen Techno oder Ambient. Der Mix macht´s. Nach einigen kreislaufstärkenden amourösen Wechselbädern fährt Beatriz schließlich zurück nach Madrid, wo sie Monica aufgrund des kruden Weltenlaufs in einem landwirtschaftlich orientierten Therapieprojekt für Heroinabhängige besuchen muß. Beatriz hat den Blues. Und bluesy verklingt der Roman: „Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Worte sind Clerasil für die aknebefallene Seele. QED.

Die überreizte Erzählerin Beatriz schaukelt in einem Whirlpool der postpubertären Verstimmungen und läßt den Leser an jedem Wellenkräuseln und jeder Flutwelle teilhaben: „ich erstickte fast unter dem erdrückenden Gewicht dieser Überdosis Östrogen.“ Testosteron, Östrogen: Etxebarría schüttet ihren Text mit der Nebenniere aus. Doch nicht jeder muß das Bedürfnis verspüren, sich in solchen hormonellen Strömungen treiben zu lassen. Beatriz´ autotherapeutisch-schmerzlösende 350-Seiten-Erzählung hängt an der ziependen Öse in ihrem gepiercten Bauchnabel. Kreiselnd pendelt der Roman ihre zahllosen Bauchgefühlchen aus. Stolz präsentiert sie Angst mit Edelschimmel: „Heute verstehe ich, daß … es notwendig ist, die Angst wieder auszugraben, damit sie nicht unter meinen Füßen verschimmelt.“

Etxebarría reiht einen psychologischen Gemeinplatz an den anderen, als wäre sie vom Dr. Sommer-Team der Bravo. Der Text ist 100% humorfrei. Schwafelnd lullt er den Leser mit Banalitäten und abgegriffenen Bildern ein. Nur ein einziger Satz holt das ästhetische Empfinden kurz aus dem Standby-Modus: „Zum Vorschein kamen ein paar schwarze Strumpfhalter, die so unheimlich aussahen wie schlafende Fledermäuse“ Aber Etxebarria läßt die Fledermäuse der Poesie kopfüber weiterschlummern. Locker eingeworfene Fragmente aus einem populärwissenschaftlichen Lehrbuch für Astronomie sollen all das menschliche Leid in eine kosmische Perspektive rücken und müssen nebenbei noch für den einzigen sprachlichen Mehrwert des Textes sorgen: „Das hat doch irgendwie etwas Poetisches.“ Hin und wieder schüttelt sich Beatriz also ein paar pseudo-lyrische Sterntaler aus ihrem Minikleidchen, unbeirrt plappernd darauf pfeifend, daß diese „himmlischen Körper“ der höchsten literarischen Inflationsrate unterliegen.

Hypnotisch durchwalkt ein ausgeleiertes Planetenrührwerk einen zähen Teigklumpen aus neunmalklugen Kalendersprüchen, Psycho-Bauernregeln und Selbstfindungsfloskeln: „Wie ein Stern in der Morgendämmerung erlosch meine Identität in einem helleren Licht.“ Der Nachsommer der Pubertät ist die Zeit des Phrasendreschens. Von Ego bis Eso. Inmitten dieses Astro-Kitsches erscheint die vergängliche Liebe wie ein einziger Krieg der Sterne: „im Universum überhaupt, diesem majestätischen Universum, in dem die Sterne explodieren, wenn sie sterben.“ Die sternenfreien Textpassagen setzen sich hauptsächlich aus dem Grundwortschatz Spanisch, Kapitel „Zwischenmenschliches“ zusammen. Das klingt dann vornehmlich nach dem monologischen Wortbeitrag einer beziehungserfahrenen Sozialpädagogin im zehnten Semester während eines Ich-auslotenden Tantra-Wochenendes auf der autofreien Insel Langeoog.

Die seelenvernarbte Beatriz und ihre Gefolgschaft himmlischer Körper kommen direkt aus der Umlaufbahn eines Planetensystems von quietschend rotierenden Präsentationsständern voller Bahnhofsliteratur. Entspannend auf den überanstrengten Gähnmuskel des Lesers könnten vielleicht noch phonetische Eigenversuche wirken, den Nachnamen der Autorin fehlerfrei über die verblüffte deutsche Zunge zu bekommen.


Lucía Etxebarría: Beatriz und die himmlischen Körper. Roman, Aus dem Spanischen von Catalina Rojas Hauser, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2000, 348 S., geb., XX,YY DM