Tomboy meets Riot-Grrrl - Robert Fischers Lektionen aus einer Affäre mit der Gender-Forschung: “Sex kills” (SZ, 10.01.02)
Robert Fischer muß einen reich bestückten Zettelkasten zu den Themen Geschlechterkampf und tradierte Rollenverständnisse haben. Diese paradigmenpralle Kiste fing an zu träumen und gebar die Erzählung „Sex kills“.
Die Ich-Erzählerin Lena hadert mit ihrer Rolle als Lena, Frau und Mensch und möchte diesen Themenkonnex in einem philosophischen „Projekt“ zum Thema der Unterdrückung weiblicher Stimmen in der Philosophie beleuchten. Lena kleckert nicht, sondern klotzt und beschließt geradeheraus „den weiblichen Anteil an der Ideengeschichte“ herauszuarbeiten. In Prozent oder Kilojoule, die Maßeinheit wird nicht ganz klar. Ihr schwebt ein eher kreativ orientierter Ansatz vor, der Platons Schwester Potone zu Wort kommen lassen soll. Ihr Philosophie-Professor Tomás ist einverstanden und begattet sie kurz drauf recht phallozentrisch in seinem restaurierten Prachtappartement unter einer architektonisch reizvollen Glaskuppel mit Blick in den Münchner Sternenhimmel. Aus dem Kuppel-Akt geht Lenas Tochter Anna hervor, in der wohl vornehmlich der weibliche Anteil überwiegt. Aus Lenas Philosophieprojekt hingegen geht Fischers Erzählung hervor, in der vornehmlich der schwurbelige Gender-Anteil überwiegt. Der Text klingt insgesamt, als hätte der Autor im Zuge von Wertschöpfung und Mehrfachverwertung ein gut dokumentiertes Einführungsreferat zur Gender-Debatte während der langen Sommerferien zu einer Erzählung umgearbeitet. Aber was heißt Erzählung?
In seitenlangen Zitatcollagen referiert die forschende Erzählerin über die Rolle der Frau in Philosophie, Geschlechtsakt und Sozialgefüge. Um das zusammengehamsterte Theoriereferat etwas aufzulockern und kontrapunktisch zu konterkarieren streut sie die Geschichte ihrer bedingungslosen Liebe zu dem gestandenen Rock ´n´ Roll-Macho Ramón ein. Tomás und Ramón: Lenas Triebschema scheint auf Männer mit aufsteigendem Vokalakzent in der letzten Namenssilbe geeicht zu sein. Ramón jedoch hat nur seine Gitarre und die Backstage-Chicks im Kopf. Lena ist ein guter Kumpel, mehr nicht. Wenn Ramón mal spricht, gibt er den schlitzäugigen Diskurs-Cowboy: „Worauf Ramón an seiner Zigarette zog, den Rauch in meine Richtung blies, die Augen zu unsympathischen Schlitzen zusammenkniff und meinte: ´Was soll denn das für eine Gewißheit sein, die ihrerseits auf etwas Ungewisses verweist?´“ Eine Frage wie ein Lungenzug. Trotz eines solchen Rock ´n´ Roll-Skeptizismus´ beackert Lena weiterhin ihre Theorie-Luftgitarre, ihre Heißluftgitarre. Nachdem Lena und Ramón glaskuppellosen Freiluftsex unter dem griechischen Sternenhimmel genossen haben, ist es aus mit der Beziehung zwischen den Seelengeschwistern. Keine Sterne in Athen. So weit, so neoplatonisch.
Zwischen seine sechs Kapitel hat Fischer einige fiktive Dialoge Platons mit seiner Schwester Potone gesetzt, in denen die postsokratische Mäeutik so flockig kreißt, daß über der ganzen Erzählung ein nordischer Hauch von „Sophies Welt“ liegt. Der charmante Philosophie-Professor Tomás erinnert in seinem dandyesken Donjuanismus an Milan Kundera, dessen philosophelnder Ideenroman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ bei Fischers Erzählung Pate gestanden hat. Weiterhin sind von Julia Kristeva bis Judith Butler wohl so ziemlich alle feministischen Denkerinnen mit mindestens einem Zitat vertreten. Aber auch der gute alte Pentateuch wird endlich unter feministischen Gesichtspunkten rehabilitiert. Bei all dem Zitieren kommt selbst der „Kirchenschriftsteller Tertullian“ nicht zu kurz, ohne daß darob die jüngste Vergangenheit verdrängt würde: „Damals beschäftigte ich mich auch noch mit dem Nationalsozialismus.“ Na, Gott sei Dank. Lesefrüchte fallen willkürlich wie Fallobst: „Gerda Pagel verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß die Devise ´Du oder ich´ ihre fatalsten Auswirkungen im Denken Hitlers und in seiner Politik erreichte.´“ Auch interessant.
Nun ist gegen spielerische Montage von Theoriefragmente zu einem polyphonen Prosagewebe nicht viel einzuwenden, außer vielleicht, daß Thomas Meinecke diese ästhetische Nische im selben Verlagsprogramm schon seit Jahren erfolgreich besetzt hat. Doch scheint es vor allem mehr als inkonsequent, eine avantgardistisch gemusterte Zitattapete über ein biederes, osteoporöses Erzählgerüst zu hängen. Denn sobald Robert Fischer vom progressiven Theoriemodus in den frauenbewegten Erzählmodus wechselt, schreibt er jene stereotype Prosa, in der jedem Adjektiv seit Jahrhunderten derselbe Nominalpartner zugeordnet ist, mit dem es zum Klischeehermaphroditen verbunden ist. In dieser neoplatonischen Worthölle ist der Charme immer entwaffnend und die Unterdrückung stets jahrtausendalt. Man wünscht sich, die Worte wären ebenso befreit wie die Geschlechter. Doch selbst die sind arg verschmockt: „Wer wollte seiner unvergleichlichen Mischung aus wohlerzogener Attitüde und fröhlicher Direktheit schon lange widerstehen, wenn er einem dabei tief in die Augen und anscheinend bis auf den Grund der Seele blickte?“ Hat der kritische Gender-Diskurs noch nicht einmal gegen den Cockerspanielblick immunisiert? Warum wurde hier der abgründige Klärschlamm der Seele noch nicht entsorgt? Und dürfen so rollenkritische Frauen wie Lena überhaupt ölige Popnölen wie Tori Amos und Björk hören und zitieren?
Fischer läßt Lena nach all ihren Theorieexkursen ihr Glück in sehr herkömmlichen Rollen finden. Nach so viel Gender ist die Wendung der Erzählung erschreckend bieder: Dank ihrer Tochter Anna, dem „Sternenkind“ (die Münchner Glaskuppel!), findet Lena endlich zum Einklang mit ihrer rumorenden Fraulichkeit. Herrlich sind die Freuden der alleinerziehenden Mama: Hand in Hand zur Schule gehen, lachend und tanzend zusammen Kleider vorm Spiegel anprobieren und mit Annas neuem Freund Sascha zu dritt als Couch-potatoe Sofa-Wurzeln schlagen. Und als die Tochter endlich zum ersten Mal ihre Tage bekommt, nimmt Mammi sie sanft in die Arme. Willkommen im Gender-Seminar. Endlich darf die Sternentochter zur Wolfsfrau mutieren. So landet diese Geschlechteravantgarde irgendwann bei Idyllen aus der generationsübergreifenden Tamponwerbung. Lenas Herzenswünsche - „Ich möchte wach sein und verstehen. Ich möchte träumen, fühlen, wissen“ - lesen sich wie die prämierte Kontaktanzeige des Monats irgendeiner Frauenillustrierten. „Sex kills“ spielt mit den Fragmenten befreiender Theorien, versinkt jedoch immer tiefer in hirnverblendendem Kitsch. Aufklärung geht anders. Robert Fischer hat für seine Erzählung die Frauenperspektive gewählt, wohl um zu beweisen, daß es kein geschlechterspezifisches Schreiben gibt. Sein Verlag verkauft das als Provokation, doch es ist nicht viel mehr als ein ungelenker rhetorischer Kniff. Mit einem Minimum an professionellem Einfühlungsvermögen vermag selbst noch ein genuin bayerischer Autor aus der Perspektive eines holländischen Matjes-Herings zu schreiben.
Es gibt einen schönen Satz in der Erzählung: „Ich lief die Straße hinunter in Richtung Friedensengel, über dessen goldener Statur der eben noch grau verwaschene Himmel ein blauweißes Rautenmuster versuchte.“ Fischers Versuche, Muster zu bilden, sind wenig erfolgreich. In den erotischen Passagen übernimmt er ganz schamlos die Herzchenmuster der Groschenheftchen: „Seine Lippen verbrannten meinen Leib, seine Hände brachten mich zur Raserei. Ich wollte ihn fühlen, wenn er auf mir lag, seine Arme ausgebreitet wie Engelsflügel.“ Die Millionen-Euro-Frage, ob Frauen anders als Männer schreiben, möge die paradiesische oder infernalische Geschlechterkommission beantworten. Aber um gut zu schreiben, sollten sie jedenfalls anders als Fischer formulieren. Wie schon Platons Schwester Potone unter dem Athener Sternenhimmel summte: Sex kills. In diesem Falle ein Buch.
Robert Fischer: Sex kills. Eine griechische Affäre, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2001, 158 Seiten, 7,50 Euro