Stephan Maus

Arno Hach: ‘Die Menschenhaut’ (Tagesspiegel)

Porentief bös - Arno Hachs phantastische Erzählung “Die Menschenhaut” (Tagesspiegel, 12.05.02)

Arno Hach ist eine kleine Entdeckung für Liebhaber von Kuriositäten in den Grenzgebieten der Literatur. In den Jahren zwischen 1901 und 1920 veröffentlichte der Autor sechs Bändchen mit Erzählungen. Ein biographischer Schlüsselsatz aus Hachs Tagebuch vermittelt eine Idee vom Temperament des Autors; anläßlich der Geburt seines Kindes notiert der Vater unverblümt: „Hätte ich es doch abgetrieben!“ Nach dem Ersten Weltkrieg war Hach als Verfasser technischer Erläuterungen und Pressemitteilungen bei Siemens in Berlin beschäftigt. Doch das trockene Genre des Gebrauchstextes scheint seinen literarischen Ehrgeiz nicht ganz befriedigt zu haben. Ihn interessierte das Revers der Moderne. Er bestückt das Horrorkabinett der Literaturgeschichte. Ein Mann für den Giftschrank.

Im Paris der Terreur lebt der Royalist Marquis Louis Rochelle de l´Isle in einem konspirativen Hinterhaus. Auf den mitternächtlich knarrenden Holzstiegen entbrennt er in obsessiver Leidenschaft zu der bildhübschen Strickerin Hortense. Doch bevor er sich ihr erfolgreich nähern kann, entpuppt sie sich als perverse Lustmörderin, die ihre Liebhaber noch während des Beischlafes entmannt und ihnen anschließend die Kehle durchschneidet. Während der Französischen Revolution wird der kleine Tod ganz schnell zum großen. Die kleine Hortense kommt unter die Guillotine. Der schreckliche Marquis ist terrorisiert von dem Gedanken, der grausamen Schönen verfallen und beinahe das nächstes Opfer der bestrickenden Strickerin geworden zu sein. Er will Rache und, nun ja, so etwas wie eine posthume Umschmeichelung unterhalb der Gürtellinie. Er läßt die Haut der Gehenkten vom grauslichen Gerber Vinaigre nach den neuesten Methoden der Wissenschaft konservieren und sich daraus ein Beinkleid schneidern: „´s ist mit dem Gerben von Weiberfellen so ´ne Sache. Das Leder hält nicht“. Das Leder hält dann doch, allein, die Hos´ gibt keine Ruh, und die Geschichte nimmt ein böses Ende. Vor einem aggressiv prasselnden Kaminfeuer, kurz vor Mitternacht: „Das Feuer zuckte jäh auf, wie ein plötzlicher lauter Schrei.“

Man sieht: Keine Weihnachtslektüre. Arno Hachs kurze phantastische Erzählung vereint die klassischen Topoi der schwarzen Romantik und steht ganz in der Tradition der Schauerliteratur. Ritter, Tod und Teufel, lebende Tote und todbringende Küsse aus dem Jenseits. Der Name des Helden Louis Rochelle de l´Isle mag gar eine versteckte Hommage an Auguste Villiers de l´Isle-Adam sein, den Autor der „Contes cruels“. Und während der Lektüre meint man, im hintersten Kerker der Bastille leise aber bedrohlich die Fußketten de Sades, des göttlichen Marquis´, klirren zu hören. Noch einmal inszeniert Hach die Französische Revolution als doppelschneidige Wendemarke der Moderne, an der die Aufklärung auf okkulte Kräften stößt. Die Guillotine verkörpert hier wieder den rationalisierten Thanatos, und auch die neuen Methoden der Gerberei sind auf dem letzten Stand der Technik. Doch unter der Oberfläche der Moderne, unter der präparierten Haut lauern die unbezähmbaren Mächte des Begehrens, und Eros wetzt schon sein Messer und läßt seinen Basic Instincts freien Lauf.

„Die Menschenhaut“ ließe sich als vorzügliches Fallbeilspiel für angewandte psychoanalytische Literaturkritik zitieren. Die schöne Hortense ist eine besonders düster schimmernde Blüte männlicher Kastrationsangst, und die Literatur zeigt sich wieder einmal als Fortsetzung des Geschlechterkampfes mit anderen Mitteln. Man kann Arno Hachs Erzählung auch als eine symptomatische Verschiebung der zeitgenössischen Obsessionen zur Jahrhundertwende ins phantastische Genre lesen. Vor dem Hintergrund der Bilder von den Massengräbern des Ersten Weltkrieges verbindet sich seine „Menschenhaut“ mit noch viel makabreren Konnotationen, als die Erzählung bei einer unschuldigen Lektüre als reine Stilübung im phantastischen Genre entfalten würde. Der technische Redakteur der Firma Siemens war wohl tatsächlich besessen vom Reich jenseits aller funktionalen Gebrauchsanweisungen zu einer neuen Zeit. Er schrieb auf der Peau de chagrin der Moderne.

Der exquisite Hamburger Verlag Achilla Presse präsentiert diese kurze, befremdliche Schauderlektüre in einer sehr geschmackvollen bibliophilen Ausstattung. „Die Menschenhaut“ ist Band zwei der Reihe „mutabor – Phantastische Bücher“, die den schönen Untertitel „Mumien, Monster, Mutationen“ trägt. Der Einband dieser originell gestalteten Schauerkuriosität ist beruhigenderweise aus unverfänglichem Kunststoff. Abwaschbar.


Arno Hach: Die Menschenhaut, Aquarelliert von Jörg Kleinschmidt, Achilla Presse Verlagsbuchhandlung, Hamburg 2001, 39 Seiten, 15 Euro