Stephan Maus

Jamal Tuschick: ‘Kattenbeat’ (NZZ)

Äppelwoi-Bohème - Jamal Tuschicks Prosaband “Kattenbeat” (NZZ, 29.08.02)

„Kattenbeat“ lautet das Losungswort einer lockeren Bruderschaft von jungen Männern. Ihr Aktionsradius umfaßt drei Städte. Jeder Teil von Jamal Tuschicks Prosaband widmet sich der Perspektive eines Logenbruders: Kran in Kassel, Teichmann in Göttingen, Koller in Frankfurt. Die drei Städte markieren ein Bermuda-Dreieck des Erwachsenwerdens. In dieser Gefahrenzone gehen die Männer ihren Ritualen nach. Sie trainieren Kampfsport, trinken Alkohol, kaufen Liebe oder lassen sie sich schenken. Die Jungs sind Diskurs-Scharwenzler, Döner-Buden-Samurais, Ticketabreißer, Rotlichtkojoten, lonely, God damned lonely Drifter. Sie erforschen die komplizierten Gesetze der Lässigkeit. Dabei helfen ihnen weich abgefederte Autos mit heruntergekurbelten Seitenfenstern, Zigaretten und eigensinnige Frauen.

Dieser Oberstufenausflug in die flirrende Arena des Machismo könnte einem nun schwer auf die Nerven fallen. Doch Tuschicks sprachliche Begabung entschuldigt sein Faible für Imponiergehabe und durchtrainierte Alpha-Tierchen mit Street-Credibility. Der Beat rettet „Kattenbeat“ vor zu viel Testosteron. Der Autor riskiert viel. Während seine Helden in der Taekwondo-Schule weit ausholende Halbkreistritte trainieren, kämpft Tuschick um einen effektvollen Stil. Hin und wieder verzerrt er dabei die Syntax oder überdehnt einen Satz: „Auch du hast Augenorgasmen vorgetäuscht, um dich vor Lebensblinden aufzuspielen.“ Solche blindwütigen Prosaorgasmen an der Grenze zum doppelt verschlüsselten Kryptogramm sind das Risiko einer gewollten Kunstsprache. Doch oft gelingen dem Autor sehr originelle Formulierungen, die zusammengenommen den eigenwilligen, besonderen Tonfall dieser Texte ausmachen. Tuschick spielt mit der interessanten Spannung zwischen der rohen Coolness seiner Protagonisten und einer sehr gekünstelten Sprache: „Ihm fehlte jener Rest an Kernigkeit, der dem Senior noch dazu verholfen hatte, die Brücken zwischen Ideen und Taten im Nebel der Unentschlossenheit aufzuspüren.“

Die drei Texte sind voller treffender Beobachtungen aus der Provinz, den sonntäglichen Fußgängerzonen und dem dickfelligen Speckgürtel der Gefühlsregungen. Um sie zu genießen, sollte man allerdings ein Freund der ausgefallenen Bilder sein. Tuschick charakterisiert seine Protagonisten mit psychologischem Einfallsreichtum. Er feiert noch einmal die große Freiheit des Nachtlebens, die bartstoppelige Einsamkeit der Künstler und die Coolness Lungenzugs. Tuschick ist ein genauer Beobachter mit viel Sinn für schnelle, scharfzüngige Portraits: „Sein Snobismus verbarg sich hinter einer ausgefallenen Erscheinung, einem Auftritt voller Anleihen aus der Welt der Tippelbrüder, in der französisch-romanhaften Variante.“ Viele Charakterisierungen verdichten sich zu spitzen Sentenzen: „Ihre ausgewogene Art war ein kleines Kunstwerk, das sie gelegentlich vernachlässigte.“

Leider dominiert in der letzten der drei Prosastrecken der Eindruck einfallsloser literarischer Zweitverwertung von journalistischen Arbeiten. Der Protagonist Koller ist ein Herumtreiber, auf den in irgendeinem heruntergekommenen Hotelzimmer immer eine funktionstüchtige Schreibmaschine wartet. In die tippt er Texte mit viel Frankfurter Lokalkolorit. Im fadenscheinigen Farbband herrschen die hessischen Landkreisfarben vor. Tuschick übernimmt hier einfach journalistische Arbeiten in seinen Prosaband, die er schon in der taz und anderen Tageszeitungen veröffentlicht hat, gibt sie als Kollers Artikel aus und glättet die Übergänge mit impressionistischen Nachtstücken aus der Frankfurter Club- und Kneipenszene. Hier hat es sich der Autor zu einfach gemacht. Vor allem, wenn man diesen hingehuschten letzten Abschnitt mit der interessanten Verschränkung von mehreren Zeitebenen, von historischen Chroniken und zeitgenössischer Bestandsaufnahme, von 1000 Jahren Hessen und 15 Jahre Light-Zigaretten im ersten Teil des Buches vergleicht.

Der freischaffende Journalist Koller ist ein Desperado, der sich drogensüchtige Prostituierte mit auf´s Hotelzimmer nimmt, nach dem Akt vor dem Spiegel raucht und versucht, den Quecksilberraum hinter´m Spiegelglas randvoll mit tristen Gedanken zu füllen. Hier gibt der freischaffende Journalist Tuschick seiner Schwäche für die Äppelwoi-Bohème nach und biographische Selbststilisierung ist zu befürchten. „Wenn schon“, lautet der Titel dieses lieblos collagierten letzten Teils, und trotzig möchte man antworten: Denn schon! Jamal Tuschick sollte sich ein Herz fassen, all seine vergilbten Zeitungsartikel endgültig abheften und einen schönen, dicken hessischen Heimatroman aus der Kellerloch-, Hinterhof- oder Treppenstiegenperspektive schreiben.


Jamal Tuschick: Kattenbeat, Edition Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2001, 151 S., Fr. XX,YY