Im Zweifelsfalle Kalle - Ein Philologe prahlt mit seinem Alter Ego: Friedmar Apels “Das Buch Fritze” (SZ, 01.09.03)
Fritze ist nicht mehr zu retten. Der Mann hat Potential, doch ein böser Teufel reitet ihn. Was könnte Fritze nicht alles werden: Bauzeichner, Versicherungsmanager, ja vielleicht sogar Literaturwissenschaftler in Bielefeld wie sein Schöpfer Friedmar Apel. Aber in Fritze nagt die Sehnsucht nach dem ganz anderen Leben, nach Freiheit, Abenteuer und Rock ’n’ Roll. Und was rockt weniger als Bielefeld und Literaturwissenschaft?
In zwölf Kapiteln zeichnet Friedmar Apel die Passionsgeschichte eines sympathischen Rebellen, der die ganze glühende Revolte der sechziger Jahre in seiner Brust trägt. Fritze und die Bundesrepublik werden zusammen erwachsen. Die schönsten Momente verbringt er als Kind in einem Dorf im Osten bei seinen Großeltern. Wenn er etwas Dummes tut, nennt ihn seine Großmutter Karlchen, wenn er etwas Lustiges macht, nennt sie ihn Kasper. Das zeigt Fritzens Handlungsspektrum: zwischen Blödsinn und Unsinn verstreichen seine Tage. Die Flucht in den Westen ist die Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit. In der jungen Republik warten schon der strenge Vater, die alkoholkranke Mutter, pädophile Offiziersonkel aus der nagelneuen Bundeswehr und überhaupt das ganze Schweinesystem. Fritze läßt sich nichts gefallen. Er ist um keine rotzige Antwort verlegen, ist ein wahrer Fritze Teufel. Aus harmlosen Bubenstreichen und den üblichen Oberstufenpatzigkeiten werden schnell Drogentransporte und allerlei krumme Dinger. Fritze wird drogensüchtig, spritzt sich Heroin unters Augenlid und spült mit Bier und Korn nach. Die Revolte frißt die Lebern ihrer Kinder, und Fritze endet als biertrinkender Schwadroneur im Stadtpark.
Hat man erst einmal jene etwas alberne Heitschi-Bumm-Beitschi-Perspektive überwunden, aus der Fritzens Kindheit erzählt wird, lesen sich die Abenteuer des jungen Rebellen sehr gut. Man hat es schwer als James Dean in den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders. Apel hat einen sehr geschmeidigen, atemlosen Ton gefunden, der Fritze von einer Katastrophe in die nächste jagt. Alle Stationen aus Fritzens Leben nehmen die schlechtest mögliche Wendung. Apel verschmilzt kommentarlos Rock- und Pop-Songs und sonstiges kulturelles Strandgut mit seiner Erzählung, was nur hin und wieder in etwas alberne Bildungskalauer ausartet: „So schaut Fritze in die schwedische Landschaft, ob er vielleicht wilde Erdbeeren sieht. Es sind aber keine da, oder sie sind so klein, daß man sie nicht sehen kann.“
Mit seinen Kapitelüberschriften aus der Requisite des epischen Theaters erinnert „Das Buch Fritze“ an einen anderen großen Passionsroman über ein lebenshungriges Energiebündel: Fritze leidet an derselben gutmütigen Hybris wie Franz Biberkopf aus Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Irgendwann geht Fritze in Fetzen durch die Stadt und ist überzogen mit Pusteln und Schwären. Er ist ein moderner Hiob, doch hat er keinen Gott, der seine skurrilen Gebete erhört. „Das Buch Fritze“ hätte ein rundum bewegendes, trauriges Buch über einen Menschen werden können, der mehr will, als die Krümelchen, die vom Tisch des großen Lebensabenteuers herunterfallen. Ein kleiner Roman, in dem noch einmal das Feuer der sechziger Jahre auflodert, um die treudoofen Wackeldackel der Generation Golf ein bißchen anzukokeln.
Aber leider wollte Apel partout erzähltechnische Kinkerlitzchen in seinem Text. Irgendwann muß sich der Literaturwissenschaftler in dem Rocker gemeldet haben und nach Ironie, Distanzierung und sonstigen Verfremdungseffekten verlangt haben. So muß der Leser nun die Fiktion eines besserwisserischen Erzählers ertragen, der aus Fritzens obskuren Aufzeichnungen, seinen „Heften“, dieses Büchlein destilliert. Das ist etwas viel literarischer Apparat für dieses schmale Bändchen. Man hätte es lieber schnell und schmutzig als so halbgescheit zurechtgezupft. In altklugen Einschüben käut Apel noch einmal den langweiligen Topos des fiktiven Herausgebers wieder. Es bleibt wenig plausibel, warum ein so konsequenter Kokser vor dem Herrn und ein so ungenierter Bildzeitungsleser wie Fritze seine Gedanken fein säuberlich in Schulheftchen kritzeln soll, damit sich schließlich ein schlaumeiernder Erzähler darüber beugen kann. Franz Biberkopf hatte schließlich auch kein Poesiealbum, und James Dean braucht keine Fußnoten.
Am lästigsten jedoch ist Apels zähes Kokettieren mit autobiographischen Anklängen in Fritzens Abenteuern. Der Autor konnte der Versuchung nicht wiederstehen, Fritze so viele autobiographische Eigenschaften wie möglich in die Wiege zu legen. Und schließlich tauft er Fritze auch noch Apfelbaum, womit er suggeriert, daß der trotzige Rebell nicht weit vom Stamme seines Schöpfers fällt. Es ist schade, daß einzig durch erzähltechnische Faux-Pas ein eigentlich schönes Buch in den Ruch augenzwinkernder autobiographischer Protzerei verkommt. Es ist, als hätte der Literaturwissenschaftler Apel mit Fritze seine dunkle Seite exorzieren wollen. Als wollte er sagen: Hätte sich der Friedmar nicht ordentlich zusammengenommen, hätte aus ihm sehr leicht ein haltloser Fritze werden können. Denn eigentlich ist der Friedmar ja ein Rolling Stone.
Hinter bürgerlich abgesicherten Existenz droht therapieresistenter Drogenwahn und ein Leben zwischen leeren Bierdosen im Stadtpark. Solche Koketterie macht einen ähnlich lächerlichen Eindruck wie die Versicherung von CDU-Fritze Merz, er sei ein motorradfahrender Satansbraten gewesen und auch heute noch ein wilder Steppenwolf. Irgendwann muß diese Peinlichkeit auch Apel aufgegangen sein, und er versucht es mit Ironie: „Zu einer respektablen Biographie gehört neuerdings, daß man in seiner Jugend ein wilder Mopedfahrer war, zur Berichterstattung, daß man dies bezweifelt.“ Es wäre so einfach gewesen, ein wirklich gutes „Buch Fritze“ zu schreiben: Apel hätte sich die faden Einschübe des Ich-Erzählers einfach sparen und seinen Helden statt Fritze Kalle taufen sollen. Bleibt zu hoffen, daß Apel beim nächsten Buch mehr auf den Fritze als den Friedmar in sich hört.
Friedmar Apel: Das Buch Fritze. Roman, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2003, 177 S., 7 Euro