Beim nächsten Glas wird alles besser - Leider kein wirklich anonymer Alkoholiker: Augusten Burroughs in “Trocken!” (SZ, 08.04.05)
Hi, ich bin Stephan. Ich bin Kritiker. Mein Vater hat mich immer so böse von der Seite angeguckt. Sein Blick hat mir richtig im Ohr gejuckt. Es ist so schlimm. Ich muß immer all diese Bücher lesen. Egal was. Hauptsache Silben, Wörter, Sätze. Ich habe keinen Bezug zur Welt mehr. Immer dieser Buchstabenwirbel um mich herum. Mir wird schwindelig. Schon als Kind hatte ich keine Freunde. Weil ich immer lesen mußte. Auch jetzt habe ich keine Freunde. Nur in Büchern finde ich Freunde. Von der Liebe will ich erst gar nicht sprechen. Am liebsten hätte ich Schriftstellerfreunde. Aber das geht nicht. Denn ich bin Kritiker. Und Schriftsteller muß ich verreißen. Ich muß ihnen wehtun. Weil sie mir wehtun. Ich hasse sie. Denn sie schreiben immer neue Bücher, die ich dann lesen muß, weshalb ich keine Freunde finde. Es macht mir Angst, daß ich solche Emotionen habe, die so dicht an der Oberfläche liegen. Daß man mich jetzt schon selbst lesen kann wie ein Buch. Aber es tut auch gut, das alles mal auszusprechen. Ich bin Euch so dankbar, daß Ihr mir zuhört. Ihr müßt mir ja zuhören. Ich weiß, wie das ist. Wenn man einmal angefangen hat, etwas zu lesen, kann man nicht mehr aufhören. Irgendwo ist gerade etwas in mir aufgebrochen, wißt Ihr. Es ist so schön, hier bei Euch zu sein. Ich bin Stephan. Ich bin Kritiker. Und ich verdiene es zu leben. Jetzt juckt mein Ohr wieder so.
Augusten ist Werber. Oh my God! Ein Werberroman! Augusten ist Alkoholiker. Oh my God! Ein Alkoholikerroman! Augusten ist schwul. Oh my God! Ein Schwulenroman! Augusten ist Augusten Burroughs. Oh my God! Ein autobiographischer Alkoholikerroman eines schwulen New Yorker Werbers! Nur Werber können auf die Idee kommen, die Werbewelt inbrünstig als einen Hort der Leere und der Oberflächlichkeit zu entlarven. Warum nicht mal ein radikaler Taucherroman, der die verführerisch schillernde Unterwasserwelt als bis in die letzte Moränenhöhle schamlos durchnäßt bloßstellt? Augusten ist brillanter Texter, der einen Award nach dem andern abräumt und unglaubliches Geld einstreicht. Das kann keinen Menschen erfüllen. Warum eigentlich nicht?
Vielleicht, weil Augusten als Kind mißbraucht wurde. Oh my God! Ein Mißbrauchsroman! Anyway, Augusten füllt seine innere Leere mit Scotch, Bier und Cocktails aus. So sehr, daß er morgens seine pelzige Zunge in Rasierwasser baden muß, um seine Fahne zu verdecken. Aber der Scotch dringt aus all seinen Poren und verrät ihn bei seiner Chefin. Augusten ist ein so brillanter Werber, daß ihn seine Agentur auf Seite 50 in eine Entziehungsklinik steckt. Ab jetzt geht’s nicht mehr zum Werbe-, sondern zum AA-Meeting. Auf den restlichen Seiten erzählt Augusten dann von seinem Kampf gegen Dämon Alkohol und dem daraus resultierenden Beziehungshickhack mit einer Handvoll Männer. Augusten macht das so, wie ein begabter Werber diesen Job für eine Kampagne im Auftrage der Anonymen Alkoholiker erledigen würde. In seinem Briefing standen die Leitideen Identifikationsmöglichkeit, humorvolle Intermezzi und tränentreibende Rührseligkeit. Strategieanweisung: Geschüttelt, nicht gerührt.
Burroughs gilt als Meister des schwarzen Humors. Warum eigentlich? Doch wohl nicht wegen seiner billigen Masche, autobiographisch verheulte Erzählungen aus dem vermeintlich verrückten Leben eines durchschnittlich extravaganten New Yorkers mit ein paar vorhersehbaren Gags zu würzen. Schon die erste Seite des vorliegenden Buches sollte Warnung genug sein: Wer in schamloser Gefühlsdusligkeit mehr als vierzig Menschen seinen plappernden Dank ausspricht, dazu noch einmal vor Hunderten von Buchhändlern und Lesern dankbar auf die Knie fällt, weil sie aus seinem letzten Buch einen Bestseller gemacht haben, der kann nicht einmal im Ansatz begriffen haben, was schwarzer Humor überhaupt sein soll. Sobald Harald Schmidt anfängt, sich vor jeder Sendung bei seiner Oma für die Gene zu bedanken, kann man beruhigt schon um 23.00 Uhr ins Bett gehen.
Neben dem üblichen, doof verschwatzten New Yorker Parlando über die trotteligen Balzrituale im Schatten der Wolkenkratzer und ein paar verwackelten Schnappschüssen aus dem Innenleben einer Werbeagentur bietet Burroughs nicht viel mehr als sülzende Protokolle von AA-Meetings. Und verkrustete Liebesfähigkeit hier, und zähneklappernde Bindungsangst dort. Immerhin: Bisher wußte man nicht, daß im Land der meisterlich geführten Faustfeuerwaffen dasselbe Geschwurbel wie bei Arabella Kiesbauer kursiert. Penetrant dünstet der Text dicke Schwaden von Psychovokabular aus. Seitenlang schwadroniert Burroughs von innerem Kind und den Mixverhältnissen seiner belanglosen Psyche.
„Trocken“ ist ein Produkt für den Entertainmentbetrieb, der seine grauenhafte Oberflächlichkeit am liebsten durch die geliehene Authentizität von sogenannten True Stories zu tarnen versucht. Dieser irgendwie autobiographische Text ist wie designt für einen rührenden Auftritt in der amerikanischen Büchershow von Oprah Winfrey, für die Literatur noch nie mehr als ein Zeugnis bewegender Schicksale war, mit denen sich ein unterbelichtetes Publikum bis zum nächsten Werbeblock identifizieren kann. Burroughs muß den Sieg der Vulgärpsychologie über jeden Anflug von Literaturverdacht geahnt haben: „Oder ist das so eine unterdrückte Erinnerung, auf die Oprah Winfrey so abfährt?“
Augustens Werbekollegin Greer liest ausschließlich Lebenshilfe-Bücher. Hier hat sich das schlechte Gewissen des Autors in einer seiner Nebenfiguren verkörpert. „Trocken“ würde Greer gefallen, denn der Roman liest sich wie das Destillat aus der Ratgeber-Ecke von Barnes & Nobles. Auf den letzten Seiten spricht der Autor die traurige Wahrheit über sein Werk aus: „Die gute Nachricht ist, daß du lernst, ohne Alkohol zu leben. Du vermißt ihn. Du willst ihn. Du hängst mit einem Haufen Verrückter rum, denen es genauso geht, und du gewöhnst dich daran. Und irgendwann hörst du dich an wie ein ätzender Selbsthilferatgeber. So wie ich.“ Wenn das die Diagnose ist, gibt es wohl nur eine Möglichkeit für den trockenen Alkoholiker: schreibe keine Bücher, sondern bleibe anonym.
Über weiteste Strecken ist dieser Text nur abgestandenes Sex and the City-Gefasel über die Schwierigkeiten der alkoholisierten Großstädter in der Paarungszeit. Nur in besonders hemmungslos poetischen Momenten schwingt sich Burroughs auch schon mal zu inflationärer Sterntaler-Lyrik auf: „Man soll sich die Sterne nie allein ansehen. Deshalb gibt es so viele. Zwei Menschen sollen beieinander stehen und sie gemeinsam betrachten. Einer allein würde die schönsten übersehen.“ Sweet. Jede Seite reißt Burroughs einen Witz. Jeder zehnte davon ist vielleicht nicht ganz so hoffnungslos fade wie die vorangegangenen neun. Ach so: An Aids wird auch noch gestorben. Oh my god!
Das Rührendste an Burroughs’ quietschender Gag-Maschinerie ist noch die Ausdauer, mit der er einen hackenzusammenschlagenden Deutschen als Nazi karikiert. Aber all die hinreißenden Anspielungen auf unsere KZs, unsere unzähmbare Mordlust und tödlich tickende Präzisionsblödheit wollen nicht ausreichen, um diesen Haufen unförmigen Psychogeschwätzes zu retten. You know, Augusten, von Nazi zu Ami: What we miss in your novel is what we Nazis call Gestaltungskraft. You may say that’s Fascist stuff, but we say it’s Literature. Also ab mit dem Roman ins Regal für stammelnde Lebenshilfe-Ratgeber. Vielleicht schauen wir noch mal rein, wenn Leber und Hirn zu 80 Prozent weg sind. Bis dahin lesen wir lieber noch mal „Unterm Vulkan“ von Malcolm Lowry. Der konnte nämlich auch noch mit 5 Promille schreiben.
Augusten Burroughs: Trocken! Roman, Aus dem Amerikanischen von Volker Oldenburg, Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 384 Seiten, 16,90 Euro