Stephan Maus

Gerhard Henschel: ‘Der dreizehnte Beatle’ (SZ)

Obladiblabla: Gerhard Henschel verdreht’s das Pilzköpfle: “Der dreizehnte Beatle” (SZ-Buchmessenbeilage, 18.10.05)

Für Gerhard Henschel sind Bücher Zeitmaschinen. 2002 rekonstruierte er in dem dickleibigen Doku-Roman „Die Liebenden“ mit Hilfe von Originalbriefen die ergreifende Liebesgeschichte seiner Eltern und schuf damit eine eindringliche Privatgeschichte der jungen Bundesrepublik. 2003 reiste der 1962 geborene Autor mit seinem voluminösen „Kindheitsroman“ in die eigene Vergangenheit. Nach diesen gefeierten, detailversessenen Romanen war Henschel wohl der raumgreifenden Vergangenheitsbewältigungsmethoden seines verehrten Meisters Walter Kempowski etwas überdrüssig. Offensichtlich wollte er nun mit einem schlanken, schnellen Fluchtvehikel endlich einmal raus aus dem bundesrepublikanischen Muff und eine fröhliche Spritztour durch die große weite Welt unternehmen. Doch wie kommt man aus dem deutschen Hobbykeller, den genormten Sparkassenfußgängerzonen und den Winnetou-Sonntagen dorthin, wo das Leben endlich mal so richtig rockt, verdammt noch mal?

In einer Hamburger Galerie begegnet der Taugenichts und detailversessene – was sonst? - Beatles-Fan Daniel Seliger einer SMS tippselnden Fee: „Ihr Blick traf mich wie ein Stromschlag.“ Holla, die SMS-Fee! Daniel zieht ihr einen Holzsplitter aus dem Feenpfötchen und darf sich stehenden Zauberstabes etwas wünschen. Die Fee hext dem wandelnden Pop-Lexikon ein selbstauffüllendes Zauberportemonnaie in die Gesäßtasche und katapultiert ihn ins delirierende London der Sixties, wo der zeitreisende Multimilliardär Daniel nun unter dem Namen Billy Shears durch die Clubs, Luxushotels und Landhäuser der Superstars zieht. So träumt man in bundesrepublikanischen Hobbykellern und Schriftstellerklausen von Weltflucht: ein bißchen Brüder Grimm, ein bißchen „(T)raumschiff Surprise“. „Es machte leise plopp, und das Portmonnaie füllte sich wieder mit Geld.“ Welch eine Gaudi!

Wir schreiben das Jahr 1966, und der junge Mann namens Billyboy versucht, den drohenden Niedergang seiner Lieblingskapelle zu verhindern. Der Zausel muß die erste Begegnung zwischen Yoko Ono und John Lennon verhindern, denn Johns Liebe zu der japanischen Sleep-In-Hexe hat bekanntlich zum Untergang der Beatles geführt. Am 9. November sprengt Shears durch eine anonyme Bombendrohung eine Ausstellung in der Indica Art Gallery, in der Lennon die Liebe seines Lebens treffen sollte. Leider kollidiert Lennon in dem Durcheinander mit einem Polizeiauto und fällt ins Koma, was dazu führt, daß sich die Beatles schon 1966 auflösen. Unwiederbringlich, denn kaum wacht Lennon wieder aus dem Koma auf, tritt er mit Yoko Ono der Heilsarmee bei, humba täterä. Der Yesterday Repair Man setzt seine ganze Energie ein, um die Pilzköpfe wieder zusammenzubringen. Umsonst. Alle reagieren wie Ringo Starr: „Don’t beatle me, buddy.“ Und dann gibt es auch noch Willibald, einen zeitreisenden Stones-Fan mit Wahrsager-Kugel. Ein gefährlicher Widersacher, dieser Willibald.

So kalauert sich Henschels uninspirierte Pop-Fantasie von einem Tiefpunkt zum anderen, bis Billy irgendwann für die Decca alle von ihm verhinderten Beatles-Songs komponiert, die dann von den Stones oder Elton John dargeboten werden, wobei Henschels Text klingt, als würde Thomas Manns unverkennbarer dreiviertel-ironischer Schmunzel-Sound von unserem zauberhaften Stefan Raab neu abgemischt. In endlos zäher Schleife wiederholt Henschel das einzige humoristische Muster seines dünnblütigen Textes: Dank seines unermeßlichen Reichtums arbeitet sich der penetrant daherfaselnde Zeitreisende bis zu irgendwelchen Popstars, Plattenmanagern oder Schlagzeuger-Masseuren durch, stammelt seine prophetischen Warnungen bezüglich Leberzirrhose, Unfalltod oder kommende Drogenrazzia in gar drolligem Denglish heraus und erntet entweder Spott oder einen Schlag auf die Nase. Torten fliegen keine. Immerhin. Dafür schmeißen IRA-Terroristen Bierdosen. Mit kindlichem Vergnügen schaut der Autor seinem Helden und Erzähler beim Geldausgeben zu und freut sich alle zehn Seiten über das Zauberportemonnaie, als wäre das nun ein wirklich ganz köstlicher Einfall. Es ist schon sehr erstaunlich, wie hundertprozentig das Humororgan des Titanic-Zulieferers Henschel in seinem neuen Roman versagt hat. Dieser Mann hat doch einen Ruf zu verlieren. Vielmehr: Hatte.

Selbst wenn man unter Aufwendung aller Gutmütigkeit annimmt, dieser Text sei als Rollenprosa konzipiert und resultiere nicht schlichtweg aus der reinen Unfähigkeit seines Autors, anders als grottenschlecht zu formulieren, wird der klischeedurchtränkte Klamaukstil dieser Prosa nicht erträglicher: „‚Never mind, Euer Durchlocht’, sagte ich, um die Situation zu entkrampfen. ‚But, oh, by the way – mir schwillt da eine Frage im Gebeiß, Euer Lordschuft: Would you kindly remember me to Mister Danny Wilde?’“ Auf was bitte sollte eine solch hanebüchene Rollenprosa schon ein parodistisches Schlaglicht werfen? Doch wohl höchstens auf das Unvermögen des Satirikers in Henschel, ein halbwegs inspiriertes Stück phantastischer Literatur zu schreiben. Denn das ist der Fluch deutscher Autoren: Sie nehmen komische Unterhaltung einfach nicht ernst. Und dann kommt eben Didi Hallervorden heraus.

Zu allem Unglück führt Henschel auch noch ein angeberisches Hipster-Englisch Gassi: „Das war es also. Swinging London in its heyday, brimming with celebrities and sex and drugs and rock’n’roll. Und ich war mittendrin. Billy Shears, the world’s greatest ever trickster.“ Seite um Seite sinkt die Schambarriere. Dieses lächerliche Pop-Pidgin wird abgemischt mit dem blöden Jargon aus 40 Jahren Musikmagazin- und Booklet-Prosa, wobei Henschel immer wieder Gemeinplätze herauströtet, die kein Bravo-Special mehr drucken würde. Über Janis Joplin lesen wir: „Dieser Stimme hatte erst Whisky, Smack und Weltschmerz zur vollen Prachtentfaltung verholfen.“ Hendrix? Ein „Gitarrengott.“ Clapton? Ein „Gitarrengott“. Der Olymp ist eine Schrammel-Band. Nachdem Henschel aus allen Pop-Lexika und Mikrofonchecker-Biographien abgeschrieben und die Schlagwortregister sämtlicher Londoner Szeneführer exzerpiert hat, beugt er sich schließlich auch noch übers I Ging. Don’t henschel me any longer, buddy.

Der Autor hat eine flache Idee mit aller ihm zur Verfügung stehenden Lieblosigkeit ausgeführt. Dabei wurschtelt er erzähltechnisch unbeholfen vor sich hin: „Denn ich kannte ja die Zukunft.“ Schon klar. Man muß Henschel eine lange Lesereise wünschen, auf der ihn ein eisig schweigendes Publikum für jeden seiner dösig kalauernden Sätze schmoren läßt. Das einzig Bewegende an diesem Text ist des Autors deutlich spürbare Verzweiflung darüber, eben doch nur irgendwie der bescheuerten Generation Golf, Modell „Bon Jovi“, anzugehören, und nicht den interessant psychedelischen Blumenkindern. Das ist der Fluch der späten Geburt.

Wer eine leichte, schnelle und geistreiche Pop-Fantasie über diese Sehnsucht der Spätgeborenen nach dem Swinging London lesen möchte, greife zu Christine Wunnickes wunderbarem Roman „Jetlag“. Hier wird das Phantastische noch ernst genommen und verkommt nicht zu einem wackeligen kabarettistischen Notnagel, an dem ein bieder verschwatzter Fan in pubertärer Jäger- und Sammlerphase seine Lieblingsdevotionalien und Anekdötchen aufhängt. In „Jetlag“ geht es allerdings um David Bowie. Aber wer will schon einen Roman über die Beatles lesen. Wo doch die Rolling Stones die wahren Kings of Pop sind.

Bleibt zum Schluß nur noch eine Frage: Wer bitte ist die böse Sleep-In-Hexe, die Henschel dazu bringt, solch aberwitzig dumpfe Prosa zu schreiben? Wir werden uns um sie kümmern müssen.


Gerhard Henschel: Der dreizehnte Beatle. Roman, Hoffmann und Campe, Hamburg 2005, 206 S., XX,YY Euro