Eso-Schlumpf auf Blauem Sofa: Paulo Coelho nimmt in Berlin den DirectGroup International Author Award entegen (SZ, 19.12.05)
Es knistert die Eßkastanie, es brutzelt die Boulette. Unter den Linden flackert und flirrt, qualmt und raucht es. Bis hinauf zum Kronprinzenpalais branden die Weihnachtsmarktbuden mit ihren indianischen Traumfängern, Wellness-Nackensteaks und Maya-Fetischen. Jahrmarktgetöse wogt durch die Beine des Reiterstandbildes vom alten Fritz. Fast bis hoch zur violett leuchtenden Hausnummer eins haben fliegende Händler für Nikolausmützen den Prachtboulevard infiltriert. Aber eben nur fast, denn Unter den Linden 1 ist die feinste Adresse der Republik und nicht Verkaufsfläche für Nikolausmützen. Hier residiert nicht der Kronprinz, hier herrscht der König des Spektakels. Hier hat die Bertelsmann AG ihre Repräsentanz hinter den Attrappenfassaden der rekonstruierten Kommandantur eingerichtet.
Säulenportal, Löwenköpfe über den Fensterbogen, Baumarkt-Adler auf dem Dach, Neonhausnummer: Ein Legoland-Palais, zusammengeleimt aus dem vorperforierten Bastelbogen „Preußens Glanz und Gloria“. Im Hintergrund ragt die Schaufassade der Schinkelschen Bauakademie empor, über die Mercedes eine Sponsoring-Plane gehängt hat. Etwas weiter östlich grüßt ein Trumm original Berliner Schloßbalkon aus der Front des ehemaligen Staatsratsgebäudes und wartet auf die Rekonstruktion des restlichen Hohenzollerngebäudes. Über alles hat die stürmische Winternacht ihre sternendurchlöcherte Sponsoring-Plane drapiert. Um den Schloßplatz herum ist alles Fassade, Stückwerk, Attrappe, hier kreiselt die Klitterkirmes der Synkretins.
In dieses Bermudadreieck aus Architektur-, Geschichts- und Kultursimulation hat Bertelsmann mit untrüglichem Gespür für baudelairesche Korrespondenzen den weltgrößten Literaturscharlatan und Jahrmarkt-Guru Paulo Coelho geladen, um ihm bei einem dieser schamanischen Korrumpierungsrituale des Kulturbetriebs den symbolischen DirectGroup International Author Award in die sowieso schon ausreichend verlotterte Vita zu applizieren. Warum Transparency International keine Beobachter zu solchen Veranstaltungen schickt, bleibt weiterhin unklar. Die brasilianische Schriftstellersimulation Coelho jedenfalls steht höchstpersönlich in schwarzem Anzug und gemäßigten Gauchoboots in der Kommandanturattrappe, die sich von innen mit eingemauerten Flatscreens, Beamern und Temperaturfühlern den Anschein eines Denkenden Gebäudes gibt. Immerhin scheint hier wenigstens das Gebäude zu denken.
Muß man den Verkünder internationaler Binsenweisheiten live gesehen haben? Unbedingt! Denn sobald Coelho sich umdreht, offenbart sich an seinem kurz geschorenen Hinterkopf ein zu einem silbrigen Haarbüschel zurückentwickelter Pferdeschwanz, der ins konzeptlos möblierte Universum feudelt. Ist Coelho jetzt etwa auch noch den Hare Krishnas beigetreten? Ach was, Sekten hat der Scheinheilige schon lange hinter sich. Genau wie Drogen und all den anderen bewußtseinserweiternden Klimbim.
Nein, dieser rührend zerzauste Okzipitalfeudel ist Coelhos Traumfänger, seine Antenne für universelle Energien, die rauschfrei durch seine Alchemistenchakren in seine Werke strömen. Mit Hilfe dieses medialen Kapillarfeudels wurde Coelho sein eigener Guru. In den internationalen Clubs der Bertelsmann DirectGroup hat er Dank fünf Millionen verkaufter Exemplare einige seiner treuesten Adepten. Dafür überreicht man ihm nun einen Plexiglasblock in der Größe eines Gullydeckels, in dem ein aufgeschlagener Bütten-Foliant eingegossen ist, der auf einer Doppelseite einen blauen Schmetterling zeigt. Das sieht aus wie eine Mafia-Drohung und muß so viel bedeuten wie „Paulo, alter Gaucho, wir werden auch noch deine letzte flügellahme Phantasiemetamorphose in Kunstharz gießen und im großen Büchermeer versenken.“
Paulo zeigt Medienkompetenz, zieht mit feinstofflichem Lächeln seinen linken Ärmel hoch, läßt die Fotografen einen tätowierten blauen Schmetterling auf seinem Unterarm ablichten und lügt wie gewohnt von zufälligen Korrespondenzen und gebenedeiten Links ins Große Ganze. Dabei wird klar, daß der Mediengigant Bertelsmann seine Bestsellerautoren irgendwo in dem Denkenden Gebäude einem Ganzkörper-Scan unterziehen muß, bevor in den Kellergewölben der ehemaligen Kommandantur die Plexiglasgießer zu Werke schreiten.
Gleich nach Gott ist Coelho der lebende Autor mit den meisten verkauften Büchern weltweit. Er hat 65 Millionen Erweckungsromanzen in 150 Ländern und 60 Sprachen losgeschlagen. Angesichts dieser Zahlen verliert man endgültig den Glauben an Coelhos Hauptkonkurrenten: Würde der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes einen esoterischen Stümper auch nur in die Nähe seines verdienten ersten Platzes auf den Weltbestsellerlisten kommen lassen?
Daß Coelho sich mit einer solchen Erfolgsbilanz noch durch das spirituelle Krisengebiet eines deutschen Weihnachtsmarktes chauffieren läßt, um im Land der bratwurstfettigen Heizpilze einen symbolischen Gullydeckel aus Plexiglas entgegenzunehmen und den Paparazzi sein geliebtes Schmetterlings-Tattoo unter die Nase zu halten, sagt alles über diesen Mann.
Nach der Gullydeckelverleihung raucht Coelho vor Ehrengästen und höherem Management in motivationsfördernder Weihnachtsfeieratmosphäre ein Zigarettchen, wobei die Fotografen ihre Kameras wegpacken müssen, denn ein Guru ist mit sich selbst im Einklang und weiht sein heiliges Atemzentrum nicht dem Krebsfraß. Schließlich kutschiert ein Doppeldeckerbus alle Geladenen ins Berliner Ensemble, nur Coelho nicht, der die 1000 Meter entweder mit der Concorde oder einem fliegenden Teppich überwindet. Im Theater am Schiffbauer Damm hat Bertelsmann mit der Wochenzeitung DIE ZEIT und den Kulturquastenflossern der ZDF-Sendung aspekte ein blaues Sofa zusammengedübelt, auf dem illico mit entspannten Pobacken eine Literatursalonfläzerei aus dem Geiste von Möbel Höffner zelebriert wird.
Farblich ist das Sitzmöbel bestens auf Gäste aus Schlumpfhausen abgestimmt, und aus Dank lügt der brasilianische Eso-Schlumpf seinem Publikum auch gleich noch ins Gesicht, das BE sei schon in seiner zarten Jugend ein Mythos für ihn gewesen. In Dublin rät ihm sein Image-Controller sicherlich zu der Behauptung, er habe schon als Dreijähriger seinen ersten Bloomsday unterm Zuckerhut gefeiert. Den Unterarm mit Schmetterlingstattoo macht er aber garantiert auch dort wieder nackig. Coelhos Pferdeschwänzchen feudelt über das Blaue Sofa, nimmt Möbel-Höffner-Energien auf, und ohne zu erröten sagt der Meister Sätze wie „Man kann mir vieles vorwerfen, aber sicher nicht, daß ich ein Feigling bin.“ Gerne würde man das in einem düsteren Seitengang des mythischen Berliner Ensembles verifizieren. Danach dürfte Coelho auch noch einmal ungestraft den Satz „Ich trage meine Wunden wie Orden“ wiederholen.
Hélas! Das Leben ist eine mühselige Pilgerschaft, es sei denn, es ist ein mäandernder Fluß, es sei denn, es ist das Kanalsystem von Kuala Lumpur: Nach neunzig Minuten pipiwarmem Metaphernregen, schamloser Selbstbeweihräucherung und Tao-Te-King-Anekdötchen hilft nur noch die Spätvorstellung von „King Kong“. Und gegen Mitternacht läuft endlich ein anrührender Riesenaffe im kalten Herzen einer gigantomanischen Unterhaltungsindustrie Amok. Das simulierte Monster erscheint dabei beseelter als alle fingerfoodsüchtigen Literaturzombies dieser Welt. In heiliger Raserei zerlegt der verehrungswürdige Tao Te King Kong von Skull Island den flackernden und flirrenden Ganzjahresweihnachtsmarkt Times Square. Zwischendurch fliegt ein Doppeldeckerbus in ein Gebäude, das genau dort steht, wo Thomas Middelhoff auf dem Höhepunkt der New Economy die Bertelsmann US-Repräsentanz hat hinzementieren lassen. Man kann King Kong vieles vorwerfen, aber sicher nicht, daß er ein Feigling ist.