Niemand leidet so schön wie die Französin Juliette Binoche. Beim Hausbesuch zeigt sich die Ikone hingebungsvoller Sanftmut allerdings energischer als erwartet
Juliette Binoche schweigt. Dann schweigt sie noch einmal. Und weil es so schön ist, schweigt sie noch ein bisschen. Und jedes Schweigen hört sich anders an. Sie schaut streng durch den Dunst, der aus ihrer großen Teetasse aufsteigt. Ah, kalt ist die Welt und heiß der Tee. Binoche muss das Teewasser einzig mit ihrem Blick erhitzt haben. Wie heiß dieser Blick auf deiner Stirn brennt!
Wie eine Leinwand schwebt Binoches flächiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen über einem schmutzig weißen Pullover, natürlich gestrickt aus grober Wolle; genau wie die dicken Socken, die aus ihren Clogs quellen. Binoche muss schon in Wollleibchen zur Welt gekommen sein. Sie trägt ihre Seele auf links, und die Textur dieser Seelenrückseite ist flauschige Wolle. Herz, Seele, Flausch: Wie die Flut moosiges Treibgut an den Strand wirft, so zieht Binoches mondbleiches Gesicht unweigerlich Kitschvokabeln aus verwirrten Männergehirnen.
Langsam zieht sie den Teebeutel aus ihrer Tasse. Juliette Binoche mag ihre Nägel nicht, aber deswegen versteckt oder lackiert sie sie noch lange nicht. Sie presst den Beutel mit kräftigen Fingern zusammen, bis er auch den letzten Tropfen abgegeben hat. Entschlossen umwickelt sie den Beutel mit dem Baumwollfaden, verschnürt ihn zu einem engen Paket, das sie auf ihrer Untertasse ablegt. So werden Entführungsopfer gefesselt, bevor man sie in einen Kofferraum wirft. Schließlich lehnt sie sich ein bisschen nach vorn, lässt ihren Teekocherblick auflodern und sagt: “Sie verwechseln Juliette mit ihren Figuren.”
Unmöglich, Binoche nicht mit ihren Rollen zu verwechseln
Genau dafür sind wir hierhergekommen. In dieses Haus in einem ruhigen Pariser Vorort, das aussieht wie der renovierte Erstwohnsitz der Addams Family: Erker, geschnitzte Giebelbalken, verspielte Fassade. Draußen auf der Klingel steht “Klingel”. In einem Binoche-Film würde das natürlich etwas bedeuten. Etwas sehr Spirituelles. Man wüsste nicht genau, was, aber es wäre sehr zauberhaft. Genau wie all ihre Auftritte in dem Film “Breaking and Entering” von Anthony Minghella, der gerade auf DVD erschienen ist. Sie spielt darin eine bosnische Flüchtlingsfrau in London. Hinter ihren schwarzen Augen verdichtet sich diesmal gleich das Schicksal eines ganzen kriegsgebeutelten Landes. Unmöglich, Binoche nicht mit ihren Rollen zu verwechseln. Denn seit bald 20 Jahren verkörpert sie fast immer denselben Frauentypus. Gleich in ihrem ersten großen Auftritt in Philip Kaufmans “Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins” (1987) stellt sie ein Provinzmädchen dar, das tapfer am maßlosen Lebens- und vor allem Frauenhunger ihres Geliebten leidet.