Seit der Veröffentlichung seines Reportageromans “Gomorrha” über die Machenschaften der Camorra steht Roberto Saviano auf deren Todesliste. Im Kino läuft nun die Verfilmung seines Bestsellers, an der er als Drehbuchautor mitwirkte. Ein konspiratives Treffen in Neapel
Eine enge Einbahnstraße in Neapel. Wie wütende Wespen knattern Motorroller vorüber. Kurzes Hupen an jeder Ecke. An diesem heißen Augustmorgen herrscht unübersichtliches Treiben. Langsam schiebt sich die silberne Kühlerhaube eines Jaguars aus einer Seitenstraße ins Bild. Verdunkelte Scheiben. Eine zweite Limousine folgt. Ebenfalls verdunkelte Scheiben. Auf den Autodächern abnehmbare Blaulichter.
Mit geschmeidigen Bewegungen gleiten Bodyguards auf die Straße. Ein korpulenter Zwei-Meter-Mann, Jeans, offenes Hawaiihemd, Muschelkettchen über behaarter Brust, zurückgegelte Silbermähne, Raubtiergang; ein drahtiger Al-Pacino-Kläffer - wahrscheinlich nennen sie ihn in seiner Carabinieri-Spezialeinheit “Die Ratte”; zuletzt ein Gentleman-Cop, dessen brutale Gesichtszüge nicht zu seinem eleganten Anzug passen. Aufmerksam suchen sie die Umgebung ab. So sieht das also aus, wenn jemand in Italien die höchste Sicherheitsstufe hat.
Aus der hinteren Limousine steigt jetzt ein schmächtiger Mann. Der Schriftsteller Roberto Saviano. Die Bodyguards nehmen den 29-Jährigen in ihre Mitte. Die Gruppe eilt in Richtung Hotel, wo unser konspiratives Gespräch stattfinden soll. Schon Stunden vorher haben die Bodyguards den Palazzo unter die Lupe genommen: Wie viele Fenster hat der Interviewraum? Gibt es Hintereingänge? Welche Gäste haben noch eingecheckt? Sie nennen diese Sicherheitsmaßnahme “ein Gebiet trockenlegen”.
Die, die ihn im Visier haben, sind mächtig. Sie tragen Namen wie “Sandokan”, “Der Wolf " oder “Das Tier”. Ihren Gegnern trennen sie mit dem Trennschleifer den Kopf ab, lösen sie in Salzsäure auf oder werfen sie in einen vertrockneten Brunnen und schicken eine Handgranate hinterher. Seit der Veröffentlichung seines investigativen Reportageromans über die Camorra, die neapolitanische Mafia, steht Saviano auf der Todesliste.
Er hat die Geschäfte der Camorra durchkreuzt. Hat publik gemacht, wie sie Fälschungen italienischer Mode verkaufen. Wie sie an Junkies ihre neuen Drogenmischungen testen. Wie sie Giftmüll aus dem Norden importieren und im neapolitanischen Tuffstein vergraben, der so porös ist, dass der Dreck ins Grundwasser sickert. All diese Geschäfte sind lukrativ. Ein einziger Clan kann hier 500.000 Euro am Tag umsetzen.
Wut als Antrieb
Saviano schildert diese Machenschaften mit Tempo und viel Wut im Bauch. Er nimmt seinen Kampf gegen die Camorra sehr persönlich. Er spricht ihre Sprache, nutzt ihre Symbole. Als er die verlassene Villa des 1996 verhafteten Mafiabosses Walter Schiavone betrat, war er erschlagen von dem Pomp. Schiavone hat sein Haus originalgetreu nach der Villa der Hauptfigur aus Brian De Palmas Mafiafilm “Scarface” bauen lassen. Genüsslich schildert Saviano in seinem Buch, wie er vor Empörung in die riesige Badewanne des Mafiabosses pinkelte. Seitdem hat er ein Problem mit Schiavone. Musste diese Provokation sein?
“Ich gebe zu, dass es eine kindische Geste war. Aber ich habe in diesem Moment alles zurückgegeben, was sie mir genommen haben. Ich bin Ende der 90er Jahre in einer Gegend aufgewachsen, wo es täglich Tote gab. Wenn Kameraden zum Lernen kamen, musste meine Mutter den Camorra-Wachen im Dorf Bescheid geben, dass sie sie durchlassen. Das hat mir meine Jugend genommen. Mit dieser Geste habe ich das alles zurückgegeben.”