Ob E-Book-Hype, Ranicki-Hymnen, Bohlen oder Bushido - auf der Frankfurter Buchmesse prallen Welten aufeinander. Und mittendrin im Natternnest Literaturbetrieb: Stephan Maus. Zum Abschluss der weltgrößten Bücherschau zieht der stern-Redakteur Bilanz
“Sakrileg!”
“Das ist Weihwasser!”
Die umstehenden Kritiker lächelten, aber man spürte: Sie waren konsterniert. Dabei wollte man sich nur etwas Wasser nachschenken. Aber es war nicht irgendein Wasser. Es war jenes kühle Nass, das in einer bauchigen Karaffe auf einem antiken Holztischchen darauf wartete, die wunde Kehle eines Schriftstellers zu ölen.
Seit 47 Jahren empfängt der Suhrkamp Verlag Literaturkritiker und Autoren in den Privaträumen des verstorbenen Siegfried Unseld. Und seit 47 Jahren wird dieser Empfang mit einer Autorenlesung eröffnet. Dieses Jahr wurde die wunderbare Sibylle Lewitscharoff dazu auserkoren, aus ihrem neuen Roman zu lesen, der im Frühjahr bei Suhrkamp erscheinen wird. Dass sie nach Jahren in anderen Verlagen nun in dem Frankfurter Traditionshaus veröffentlichen darf, beeindruckte sie sichtlich: “Der Empfang, der mir bereitet wurde, ist von einer derartigen Großherzigkeit, wie ich sie noch nie erlebt habe. Das ist etwas Neues für mich. Endlich bin ich in einem Verlag gelandet, wo ich so viele Autoren großartig finde und sie einfach gerne lese. Das ist für mich eine große Ehre.”
Freundliche Kulturkritiker und Schleim-Emphatiker
Immer noch ist Suhrkamp für viele Autoren der Höhepunkt ihrer Karriere. Und für viele Kritiker ist der Empfang in der Klettenbergstraße das Highlight der Messe. Hier herrscht für einen Moment Frieden im Natternnest Literaturbetrieb - selbst wenn es nur ein Scheinfriede ist. Zu dieser frühen Abendstunde sind die Matadore noch nicht allzu alkoholisiert. Die respektvolle Atmosphäre in diesen Traditionsräumen und der beruhigende Blick in den Garten verhindern allzu große Ausfälle. Zurechtweisung kleidet sich hier in höfliche Herablassung: “Sie haben mir gerade ins Ohr geblasen”, bemerkte ein älterer Gentleman, mehr verwundert als empört. In einer Ecke des Wohnzimmers stand der Kulturchronist Rainald Goetz, in der Gesäßtasche sein notorisches Notizbuch, und strahlte verbindlich in die Runde. Eifrig wie ein Schüler beklatschte er die Eingangsrede von Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz. Wie kann ein so freundlicher Mann so beißende Kulturkritiken verfassen? Keine drei Meter von Goetz stand jener Literaturkritiker, den der Chronist in seinem neuen Buch “Klage” bissig den “Schleim-Emphatiker” nennt.
Die Atze Schröders der deutschen Literaturkritik
Der deutsche Kulturbetrieb ist ein großer Filz. Nirgendwo wird das so deutlich wie auf der Buchmesse. Von der Eingangstreppe der Suhrkamp Villa aus konnte man beobachten, wie die Buchmarktschreierin Elke Heidenreich aus dem Dienstwagen des “FAZ”-Herausgebers Frank Schirmmacher stieg. Noch eine Woche zuvor hatte sie im “FAZ”-Feuilleton eine pseudo-erregte Lobrede auf Marcel Reich-Ranickis Auftritt bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises gehalten. Heidenreich und Ranicki: Da haben sich die beiden Atze Schröders der deutschen Literaturkritik gefunden.
Während Heidenreich durch das Gartentürchen der Suhrkamp Villa schritt, sagte sie zu ihren Anhängern: “Ich weiß, dass das alles emotional und schnell war. Aber ich hatte so eine Wut.” Wut und all ihre mehr oder weniger authentischen Spielarten können ein sehr effizientes Verhandlungsinstrument sein: Heidenreich pokert gerade um einen besseren Sendeplatz. Ranickis Auftritt bot ihr die beste Gelegenheit, noch einmal frontal anzugreifen. Wer ihr jetzt keinen früheren Programmplatz gibt, gehört eben zu den TV-Proleten. Dass Heidenreich für ihre verhandlungstaktischen Schachzüge eine Ranicki-Hymne als Vehikel nutzte, kam dem Ranicki-Spezi Schirrmacher nur recht. Da ist schon mal eine Fahrt im Dienstwagen drin. Vielleicht sogar auch noch die Rückfahrt.