Stephan Maus

Cory Doctorow: Der Daniel Düsentrieb des Digitalzeitalters (stern)

Das iPad hält er für eine Totgeburt und Raubkopien versteht er als legitime Steuer auf Ruhm. Der britische Internet-Guru Cory Doctorow ist einer der einflussreichsten Blogger der Welt. Er nutzt konsequent die Gesetze des Netzes, um Geld zu verdienen

Früher war diese Ziegelstein-Festung hier eine Fabrik. Vielleicht sogar eine Uhrenfabrik. Während der Industriellen Revolution war der Londoner Stadtteil Clerkenville bekannt für seine Feinmechaniker. Heute, ein paar Revolutionen später, hat hier der Internet-Guru Cory Doctorow ein kleines Büro voller Krams. Noch immer weht hier Schraubergeist. Doctorows Frau nennt den düsteren Raum seine Höhle. Zum Geburtstag hat sie ihm eine Kuckucksuhr geschenkt.

Als der Kuckuck zum zweiten Mal hervorschnellt, ist Doctorow bei seinem Lieblingsfeind angekommen: “Apples iPad? Eine Totgeburt! Steve Jobs hat sich ins Handy-Business verliebt und will jetzt die besten Handys machen. Aber Handys sind die schlechteste Technologie, die wir haben. Handy-Firmen sind böse und dumm. Handys sind verkrüppelt und nutzlos. Und solange der Tablet-Sektor so bewirtschaftet wird, wie Mobilfunk-Unternehmen es tun, werden Tablets eine hinkende, schlechte Alternative zum wahren Internet sein. Und jetzt will Apple in diesem bösen, nutzlosen, verkrüppelten Business mitmischen. Deswegen kaufe ich ihre Hardware nicht mehr. Das soll nicht heißen, dass man nicht profitabel sein kann, wenn man böse, dumm und nutzlos ist. Es ist einfach nur keine interessante Technologie.”

Er fischt im Netz nach Kuriositäten

Interessant sind für Doctorow nur offene Technologien. Geräte und Programme, die von jedem eingesehen, verstanden und verändert werden können. Die man wie eine Kuckucksuhr auseinanderschrauben und wieder zusammensetzen kann. Um den Kuckuck vielleicht durch einen Dinosaurier zu ersetzen. Ihn begeistert unübersichtlich wuchernde Technik, nicht die glitzernde Oberfläche eines App-Stores. Seine Jagdgründe sind die Weiten des wilden Netzes. Hier fischt er nach Kuriositäten und stellt sie in dem Blog “boingboing.net” vor, das er zusammen mit vier Mit-Herausgebern betreibt. “Boing Boing” ist eine Fundgrube voller Zeugnisse für kreativen Umgang mit neuen Technologien. Und es ist eines der meist verlinkten Blogs der Welt. Pro Monat stöbern drei Millionen Besucher in diesem “Verzeichnis wundervoller Dinge”, wie sich die Seite im Untertitel nennt. Täglich feiert dieses Kuriositätenkabinett die Unzähmbarkeit des Netzes. Boing Boing hat Cory Doctorow auf die Forbes-Liste der zehn einflussreichsten Internet-Persönlichkeiten der Welt katapultiert.

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