Vor 50 Jahren erschoss sich Ernest Hemingway. Seit einem halben Jahrhundert versuchen Kritiker und Biographen zu erklären, warum dieser energiegeladene Autor den Lebenskampf aufgab. Beim Anblick der Regale voller verschwafelter Hemingway-Literatur wurde schnell klar, dass eine Geschichte über den Schriftsteller keine weitere Exegese seines Werkes oder seiner Psyche sein durfte. Außerdem sollte es ein Text sein, der mit nicht allzu geschwollenen Eiern und einigermaßen kontrollierter Testosteronausschüttung geschrieben ist. 50 Jahre Hemingway Write-Alike Contest haben schon genug Journalisten versaut.
Eine angemessene Würdigung des Schriftstellers könnte vielleicht eine Hommage an den Reporter Hemingway sein. An den Mann, der seine Autorenkarriere beim „Kansas City Star“ begann, an die Orte des Geschehens fuhr, mit Menschen sprach, Atmosphäre aufnahm, Details zusammentrug.
Also mache ich mich mit dem amerikanischen Fotografen Dave Anderson auf Spurensuche in Ketchum, einem kleinen Ort im Sun Valley in Idaho, wo Hemingway seine letzten Monate verbrachte und seinem Leben ein Ende setzte.
Die Spurensuche erweist sich bei Hemingway allerdings schwieriger als bei anderen verehrungswürdigen Genies. So ist das Haus, in dem der Schriftsteller sich erschoss, nicht etwa ein Museum. Es ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Es führt nur ein holpriger Privatweg hin, den die Nachbarn wachsam kontrollieren. Eigentlich wollten sie schon vor Jahren das klotzige Betongebäude versetzen lassen, nur um lästigen Publikumsverkehr zu vermeiden. Geniekult made in USA.
So müssen wir uns heimlich einen ersten Eindruck verschaffen. Wie Paparazzi schleichen wir im Regen um ein leerstehendes Geisterhaus und machen erste Außenaufnahmen und Notizen. Das ganze Anwesen ist im Besitz der „Nature Conservacy“. Es dauert zwei Tage, die mächtige Naturschutzorganisation dazu zu überreden, uns Zugang zum Innern des Hauses zu verschaffen. Das ist ansonsten nur den Mitarbeitern der „Nature Conservacy“ gestattet.
Die dann allerdings durchaus auch schon mal ganz ungeniert eine Nacht in Mary Hemingways Bett schlafen, wenn es mal später wird. Wir werden den Blick nicht vergessen, den die zur Besichtigung abgestellte Naturschützerin dem deutschen Reporter zuwarf, als er leise murmelnd durch Hemingways Haus lief, um zu zählen, wie viele Stufen genau zwischen Hemingways Bett und seinem Waffenschrank lagen.
Es ist auch nicht immer so einfach, mit ehemaligen Weggefährten Hemingways zu sprechen. Obwohl sich der Schriftsteller immer gern mit jüngeren Freunden umgab, sind die meisten heute verstorben. Und einige wollen nicht mehr über die alten Geschichten sprechen. Der Arzt, der ihn nach seinem Selbstmord obduzierte, bescheidet uns nach mehrmaligem Nachfragen mit den rüden Worten: „Since you don’t seem to understand English, I’ll try German: NEIN!“
Doch andererseits wirkt Hemingway auch wie ein Geschichtenmagnet und Türöffner: Als wir erst einmal das Vertrauen seines ehemaligen Jagdkumpels Bud Purdy gewonnen haben, lädt uns der Großgrundbesitzer in sein Haus ein, wo er auf dem geblümten Bezug eines Doppelbetts die Waffen ausbreitet, die ihm Hemingway und dessen Frau Mary überlassen haben.
Und die anfangs eher misstrauische und distanzierte Valerie Hemingway, Assistentin und letzte Liebe des großen Schriftstellers, lädt uns schließlich mit großer Herzlichkeit zum Mittagsessen ein. Sie mischt noch ein paar Kartoffeln und eine Dose Anchovis unter ihren vorbereiteten Nizzasalat und erzählt uns beim Lunch ihre Lebensgeschichte.
Früh von ihren Eltern verlassen, wuchs sie bei Verwandten in einem Landhotel bei Dublin auf. Schon mit 14 nahm sie ihre ersten Drinks an der Hotelbar. Das prägt. Noch heute spendiert die 71-Jährige zum Apéritif erst einmal ihren besten Whiskey: Redbreast. „Eine Rarität. Der wird Ihnen schon nichts tun,“ säuselt sie sirenengleich. Sofort verstehen wir, warum Hemingway diese energiegeladene Frau dazu überredete, seine Assistentin zu werden.
Nachdem wir viele Stimmen über den großen Schriftsteller eingeholt haben, beschließen wir, auch die Dinge selbst sprechen zu lassen. Wir wollen den Realisten Hemingway ehren, indem wir der stummen Magie der Objekte nachspüren. Wir machen uns auf die Jagd nach dem Gewehr, mit dem er sich erschoss. In einer Abenteuergeschichte könnte der Geist Hemingways vielleicht noch am ehesten lebendig werden.
Teile der Waffe sollen im Garten des ehemaligen Batman-Darstellers Adam T. West begraben sein. Warum also nicht einen Metalldetektor kaufen und nach dem Gewehr suchen? Aber niemand in dem kleinen Ski-Ort Ketchum kann uns einen Metalldetektor verkaufen. Und leider ist dann auch Batman ausgeflogen, als wir an seiner Tür klingeln, um mit ihm nach Hemingways Selbstmordwaffe zu suchen.
Um so freudiger sind wir, als wir den Schweisser Brooks aufspüren, dessen Vater im Auftrag von Hemingways Witwe die Selbstmordwaffe mit dem Schneidbrenner zerlegte. Wir überreden Brooks, uns die restlichen Teile des Gewehr zu zeigen, die sein Vater wider den Willen der Witwe aufbewahrte. Und als wir schließlich die samtweichen Gewehrabzüge berühren, sind wir uns sicher, dass der Reporter Hemingway eine solche Reliquie lieber in den Händen gehalten hätte als das Originalmanuskript eines Romans.
Lesen Sie die Hemingway-Reportage im “stern” vom 30.06.2011 (Heft 27, 2011)