Stephan Maus

E-Scooter: Warum die Elektroroller für Chaos sorgen – ein Selbstversuch (stern)

Die deutsche Straßen-Fauna ist reich an absonderlichen Erscheinungen. Die neueste ist der E-Scooter, mit dem jetzt auch stern-Autor Stephan Maus unterwegs war – und zwar wahrscheinlich zum letzten Mal. Abrechnung mit einer verfehlten Verkehrspolitik

Es könnte so schön sein: Mit einer trendy GPS-App suchst du dir deinen modernen Gleiter in verlockend futuristischem Design. Ein bisschen wie Pokémon-Go spielen. Da! Neonfarben glitzert es in der Sonne. Kinderüberraschung: Ein High-Tech-Gadget! Herrlich! Die futuristische Digitalanzeige verkündet, dass die Urkräfte von Sonne, Wind und Wasser den Öko-Akku zu 100 Prozent aufgeladen haben. Die Welt gehört dir. Wenigstens bis Paypal den Hahn zudreht: 33 Minuten für 7,27 Euro.

Vorfreudig platzierst du dein linkes Bein auf einem stabilen Alu-Chassis. Spielerisch lässt du das rechte Bein schwingen, in Erwartung all der herrlichen Abenteuer einer zeitgemäßen Mobilität. Dann stößt du dich auf dem Asphalt ab. Lautlos nimmst du Fahrt auf. Kindheit, hier bin ich wieder! Nachhaltigkeit, ich komme! Zwölf Punkte auf dem internationalen Greta-Thunberg-Index.

Schwebende Luftigkeitsseligkeit

Der laue Sommerwind weht dir durchs Haar. Schwerelos rollst du über breite, gut gepflasterte Boulevards, vorbei an malerisch im Abendlicht liegenden Kaianlagen, interessanten Monumenten und bislang unentdeckten Stadtgeheimnissen. Fröhlich winkst du Radfahrern zu und scherzt mit gut gelaunten Fußgängern. Nach zwei Kilometern schwebender Luftigkeitsseligkeit stellst du deinen Stadtgleiter wieder ab, steigst in einen gut klimatisierten Wasserstoffbus und genießt die Aussicht auf das urbane Treiben. Aus innerstem Frieden heraus strahlend beginnst du dein Tagesgeschäft in einer jener spannenden Metropolen unseres modernen Landes.

Allein, so ist es nicht.

Eine Fahrt mit dem E-Roller führt mich direkt in die Hölle einer durch und durch verrotteten Verkehrspolitik. Kaum stoße ich mich ab, spüre ich Hass von allen Seiten. Es ist der Hass unserer modernen Verteilungskämpfe. Die wertvollste Ressource in unseren Städten ist Platz. Und der wird immer knapper. Jetzt kommt auch noch ein aufgepimptes Kinderspielzeug dazu, auf dem erwachsene Menschen steif wie hirntote Droiden stehen. Jeder hasst die neuen E-Scooter-Fahrer, will sie am liebsten umhauen oder geradezu weglöten.

Schnell lerne ich, dass ich beim Überholen von Radfahrern am besten beschämt zur Seite schaue. Sonst schüre ich nur den Volkszorn. Der ist allerdings nicht ganz unberechtigt. Selbst wenn ich nüchtern bin, bin ich ziemlich schnell. Und lautlos noch dazu. Meine ballistische Kurve ist schwer vorausberechenbar. Ganz sicher bin ich auch noch nicht auf diesem Gefährt. Wirklichen Respekt bekomme ich eigentlich nur, wenn ich an einem Kinderspielplatz vorbeigleite: „Guck mal, Mama, ein E-Roller! Will ich auch!“

Nun könnte ich durchaus damit leben, nicht der strahlende Held der neuen Mikromobilität zu sein, sondern lächerliche Hassfigur. Das ist eben der Preis der Avantgarde. Schon bald wird es Mainstream sein, sich die letzte Meile vom Zero-Energy-Townhouse zum Tesla-Parkplatz mit einem lautlosen Öko-Gleiter zu versüßen.

Aber mit Hass und Verachtung zu leben hieße ja erst einmal: überleben. Und das ist auf einem E-Scooter leider nicht ganz einfach. Schnell merkt man, dass man mit dem wackeligen Gefährt der schwächste Verkehrsteilnehmer auf der Straßenfahrbahn ist. Und dazu bin ich auch noch sehr leicht aus der Bahn zu werfen. Schon taucht vor mir ein Schlagloch auf. Krampfhaft umfasse ich den Lenker. Eigentlich sollte ich jetzt mit einem Handzeichen signalisieren, dass ich nach rechts abbiegen will, aber nur ein suizidal gestimmter Mensch oder Evel Knievel höchstpersönlich würde den Lenker eines E-Scooters loslassen.

Mobilitätsavantgarde

Auf dem E-Roller bin ich langsamer und instabiler als auf jedem Fahrrad. Und mit dem Fahrrad konkurriere ich sekündlich um den knapp bemessenen Platz auf den Radwegen. Weg da, Klapprad-Omi! Ich habe hier gerade einen wutschnaubenden Rennradfahrer im Nacken, der ein Wettrennen gegen die Bestzeit in seiner Trainings-App fährt. Hilft nix, wir drei irrlichtern jetzt als gefährliches Wutknäuel zwischen 400 Meter langen Wasserstoffbussen, einem digitalen Elektro-Rufbus und einem selbstfahrenden Schneepflug oder was das da vorn ist. Je mehr Tierarten in Deutschland aussterben, desto reicher wird die Fauna auf unseren Straßen.

Leider sind die Radwege in Deutschland im Jahr 2019 auf demselben Entwicklungsstand wie die Raumfahrt unter Arminius dem Cherusker (um 17 v. Chr. bis 21 n. Chr.).

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