Es war drückend heiß, als der französische Dichter Arthur Rimbaud im September 1886 die uralten Festungsmauern der äthiopischen Stadt Harar hinter sich ließ. Er ritt am Kopfe einer Karawane von 50 Kamelen und 30 bewaffneten Männern. Vor ihm der Horizont, hinter ihm die heilige Stadt.
“Ein Berg von Steinen auf einem Hügel”, so hatte er geschrieben. In einem Brief. Das mit den Gedichten war lange vorbei. Er war jetzt 32. Auf dem steinernen Hügel von Harar leuchteten 82 Moscheen und 102 Heiligtümer. Hier war man fast so nah bei Gott wie in Mekka.
Dem ehemaligen Wunderkind der französischen Poesie stand eine gefährliche Expedition bevor: Seine Schmuggelware war heiß begehrt. Jeder brauchte Gewehre. Und die Krieger der Danakil-Wüste waren berüchtigt. Aber Rimbaud fürchtete sich nicht.
Die Wüste. Am Ende blieb immer nur Wüste. Leer wie eine weiße Seite. Statt Papier zu schwärzen, würde er nun Spuren hinterlassen, die der Wind verwehte. Rimbaud trieb sein Kamel ins Flirren.
Jahre zuvor hatte er die französische Literatur revolutioniert. Hatte zusammen mit den kühnsten Dichtern seiner Zeit zusammengesessen. Aber was bedeutet Kühnheit in einem Pariser Salon? Weiße Tischdecken, Rotweinkaraffe, Obst und Blumen. An der Wand Ölgemälde mit feinen Craqueluren.
Schuss im Hotelzimmer
Der Dichter Paul Verlaine hatte für ihn Frau und Kind verlassen. Zusammen hatten sie leidenschaftliche Wochen in London und Brüssel verlebt. Bis Verlaine in einem belgischen Hotelzimmer auf ihn geschossen hatte. Rimbaud hatte all das hinter sich gelassen und war durch Europa, Asien, den Mittleren Osten und Afrika vagabundiert.
Sechs Jahre zuvor war er schließlich in Abessinien gelandet, ein Land auf dem Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea. 11 Jahre war es nun her, dass er seinen letzten Vers geschrieben hatte. Jetzt schrieb er nur noch Rechnungen. Er war Händler. Aber die Geschäfte liefen zäh in der heiligen Handelsstadt Harar. Seine Anstellung im Kaffee-Kontor hatte er erst kurz zuvor gekündigt. Er hatte es nicht mehr ausgehalten. Jetzt brauchte er dringend Geld. Und tatsächlich schien nun endlich ein gutes Geschäft in Aussicht.
Rimbaud hatte 2040 ausrangierte Gewehre und 60.000 Patronen auftreiben können. Schmuggelware aus der belgischen Stadt Lüttich. Eigentlich war es verboten, Waffen ins Land einzuführen. Aber er hatte einen Weg gefunden. Die Waffen würde er Menelik II. verkaufen, dem wehrhaften Herrscher der Provinz Shewa. Rimbaud hoffte auf ein 5-faches des Kaufpreises. Er musste nur noch 500 Kilometer durch die Wüste.
Fünf Monate zog er mit seiner Karawane durch die Ödnis. Er wurde verraten, geriet in Hinterhalte. Hitze und Erschöpfung waren fürchterlich. Doch unerschütterlich trieb er seine Karawane durch feindliches Land. Nichts konnte ihn schrecken. Denn er hatte schon alles gesehen in seinen Gedichten.
Im Februar 1887 erreichte er den Königspalast beim Berg Entoto. Menelik II. träumte in jener Zeit davon, Äthiopien zu vereinen. Ausserdem musste er sich immer wieder gegen den Druck der italienischen Kolonialarmee zur Wehr setzen. Er brauchte Waffen. Mit List und Geduld baute er eine schlagkräftige Armee auf. Er wusste, eines Tages würde er sie brauchen.
Dieser Tag sollte erst gut zehn Jahre später kommen. Durch eine Vertragsfinte versuchte Italien damals, Äthiopien zu unterwerfen. Doch Menelik gab sich unbeugsam und verhandelte hart. Am 1. März 1896 wollte der italienische General Baratieri die Äthiopier schließlich bei der Stadt Adua im Norden des Landes überrumpeln und niederwerfen.
100.000 entschlossene Kämpfer
Doch er sah sich einer Armee von 100.000 entschlossenen Kämpfern gegenüber. Alle mit Gewehren ausgerüstet. Manche von ihnen mit der Schmuggelware des größten französischen Dichters der Moderne.
Die Italiener hatten keine Chance. Menelik II. wurde Kaiser eines geeinten Äthiopiens, dem einzigen afrikanischen Land, das sich erfolgreich gegen seine Kolonialisierung gewehrt hatte.
Rimbaud hatte ganz andere Sorgen im Jahre 1887. Denn Menelik blieb ihm einen Teil der Kaufsumme für die Waffenlieferung schuldig. Rimbaud musste sich das Geld bei einem verbündeten Gouverneur holen. Das Leben war eine elende Plackerei.
Während Rimbaud Waffen durch die Wüste schmuggelte, veröffentlichte Paul Verlaine in Paris den letzten Gedichtband seines ehemaligen Liebhabers: “Les Illuminations”. In den Pariser Salons war man sich einig: Mit dem Band hatte Rimbaud den Grundstein zu einer Lyrik der Zukunft gelegt. Rimbaud wusste nichts von der Veröffentlichung. Gedichte? Was war das noch mal?
Im Vorwort zu “Illuminations” berichtet Paul Verlaine alles, was er über den verschollenen jungen Mann weiss: “Man hat ihn schon mehrmals für tot erklärt. Dieses Detail ist uns unbekannt, aber wir wären darüber sehr traurig.”