Stephan Maus

FOTO-ESSAY: Topographie eines Mordes - Die letzten Momente des Olof Palme

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Gedenkplatte an dem Ort, wo am 28. Februar 1986 der schwedische Ministerpräsident Olof Plame erschossen wurde. Sveavägen, Ecke Tunnelgata, Stockholm.

Eisig kalt war es am Abend des 28. Februar 1986 in Stockholm. Minus sieben Grad, windig. Um kurz nach 23 Uhr trat Olof Palme mit seiner Frau Lisbeth, ihrem 24-jährigen Sohn Mårten und dessen Freundin aus dem „Grand“-Kino auf den vereisten Sveavägen, eine mehrspurige Hauptstraße im geschäftigen Zentrum von Stockholm.

Die vier hatten zusammen „Die Mozart-Brüder“ gesehen. Einen avantgardistischen Film über das langsame Sterben der Hauptfigur in Mozarts Oper „Don Giovanni“. Nun besprachen sie sich kurz, ob man noch eine Tasse Tee zusammen trinken gehen sollte, befanden aber, es sei schon zu spät. Die beiden Paare verabschiedeten sich. Olof und Lisbeth Palme beschlossen, die knapp zwei Kilometer zu ihrer Wohnung in der Västerlånggatan 31 in der Altstadt „Gamla Stan“ zu Fuß zu gehen. Seine Leibwächter hatte Palme schon am frühen Nachmittag nach Hause geschickt. Er hasste die erzwungene Gesellschaft.

Palme und seine Frau gingen vorbei am Friedhof der Adolf-Friedrich-Kirche und überquerten den Sveavägen. Kaum waren sie auf der Höhe des Tapetengeschäfts „Dekorima“ angekommen, löste sich aus dessen Eingangsbereich ein Schatten und eilte auf die beiden zu. Zwei Schüsse hallten durch die eisige Nacht, und Olof Palme brach zusammen. Der Schatten hastete in die enge, dunkle Gasse Tunnelgatan, rannte in Richtung einer steilen Treppe und verschwand über die 89 Stufen, die hinauf auf den Brunkebergsåsen führten – ein felsiger Bergkamm inmitten der Stadt.

Kräfte aus dunkelster Urzeit

Der Brunkebergsåsen ist ein Zeugnis unkontrollierbarer Kräfte aus dunkelster Urzeit. Dunkel bricht hier und dort der nackte Fels aus dem Strassenpflaster, als wollte er daran erinnern, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist.

In der Eiszeit hatten ein kilometerbreiter Gletscher und das aus ihm heraustretende Wasser Geröll und Gestein zu einem so genannten Esker zusammengeschoben. Die bahndammförmige Geländeerhebung des Brunkebergsåsen durchläuft Norrmalm, den nördlichen Teil Stockholms. Lange Zeit war der Felskamm ein schwer zu überwindendes Hindernis für die Stadtplaner. Auf seiner höchsten Spitze steht die Johanneskirche. Um sie gruppieren sich ocker- und ochsblutfarbene Holzhäuser aus vergangenen Jahrhunderten.

Eingefasst ist das ruhige Altstadt-Viertel auf dem Brunkebergsåsen von geschäftigen Hautpverkehrsstraßen: Kungsgatan im Süden, im Norden die Tegnérgatan, im Osten die Birger Jalrsgatan, im Westen der Sveavägen. Vom Sveavägen führt die Tunnelgatan zu einer langen Unterführung, die unter dem Brunkebergsåsen hindurch zur Birger Jalrsgatan führt. Rechts und links neben dem Eingang des Tunnels führen zwei parallelen Treppen auf den Brunkebergsåsen. Über eine davon verschwand der Mörder in die Nacht.

Der Brunkebergsåsen ist unterhölt von Tunneln, Gängen und Parkhäusern. Er ist wie ein Sinnbild für all die verschlungenen Verschwörungstheorien, die sich seit Jahren um den ungelösten Mordfall ranken.

Der prähistorische Bergkamm hat den Mörder Olof Palmes verschlungen.

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Der Norrström verbindet den Mälaren-See mit der Ostsee. In dem schnell fließenden Strom spiegeln sich Sonnenreflektionen aus den Fenstern des Rosenbad-Gebäudes, dem schwedischen Reichstag. Hier hatte Olof Palme den Morgen seines letzten Lebenstages in seinem Büro verbracht.

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In der Västerlånggatan 31 in der Stockholmer Altstadt ‘Gamla Stan’ lebte Olof Palme mit seiner Frau in einer geräumigen Wohnung, die ihm eine wohlhabende Bekannte zur Verfügung gestellt hatte. Heute befindet sich ein Souvenirgeschäft im Erdgeschoss. Wenige Tage vor dem Mord an ihrem Mann waren Lisbeth Palme verdächtige Männer in der Straße vor ihrem Haus aufgefallen.

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Im ‘Grand’-Kino am Sveavägen in der Stockholmer Innenstadt schaute sich Olof Plame mit seiner Frau, seinem Sohn und dessen Freundin den Film ‘Die Mozart-Brüder’ an.

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Im Oktober 2018 zeigt das ‘Grand’ einen Film über Anders Breiviks Terroranschlag auf der norwegischen Insel Utøya - eine weitere Gewalttat, die das Selbstverständnis Skandinaviens zutiefst erschüttert hat.

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Nachdem sich Olof und Lisbeth Palme von ihrem Sohn Mårten und dessen Freundin verabschiedet hatten, gingen sie den Sveavägen gen Süden hinab. Auf ihrem Weg kamen sie auch am Friedhof der Adolf-Friedrich-Kirche vorbei. Heute liegt Olof Palme hier begraben. Keine 300 Meter von jenem Ort entfernt, an dem er erschossen wurde. Sein Grabstein ist ein naturbelassener Findling, der auch aus dem Brunkebergsåsen stammen könnte.

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Eigentlich hätte das Ehepaar auf der Seite des Friedhofs bleiben müssen, um dann einige hundert Meter weiter über die Einkaufsstraße Drottningsgata in Richtung Altstadt zu gehen.

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Doch Lisbeth Palme wollte sich noch die Auslage in einem Schaufenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite ansehen. Also überquerten die beiden den Sveavägen. Nachdem sie sich die Schaufensterauslag angeschaut hatten, setzten sie ihren Weg fort. Kaum waren sie auf der Höhe des Tapetengeschäfts ‘Dekorama’ angekommen, löste sich ein Schatten aus dessen Eingangsbereich. An der Stelle des Tapetengeschäfts befindet sich heute ein ‘Urban Deli’.

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Der unbekannte Schatten schoß Olof Palme eine Kugel vom Kaliber .357 Magnum in den Rücken. Palme brach zusammen und war tot, noch bevor er auf dem Pflaster aufkam. Der Mörder verschwand durch die Tunnelgata in Richtung Treppen, die hinauf zum Brunkebergsåsen führen. Oben thront ein Gebäude, das an ein romantisches Schauerschloß gemahnt.

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Hoch oben auf dem Brunkebergsåsen wacht die Johanneskirche, umgeben von einer weitläufigen Grünfläche. Hier suchte die Polizei vergebens nach dem Mörder.

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Um die Johanneskirche herum hat sich ein malerisches Altstadtviertel mit verwinkelten Gassen und steilen Treppen erhalten.

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Der Felsrücken des Brunkebergsåsen ist durchzogen von Tunneln und unterirdischen Gängen.

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Parkhäuser sind wie Katakomben in den Fels getrieben.

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In diesem unwegsamen Labyrinth verschwand der Mörder.

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Der Verlauf der Ermittlungen offenbarte eine unfähige Polizei und legte korrupte Institutionen frei. Bis heute wurde der Täter nicht gefasst. Im Laufe der Jahre sammelten sich im Keller des Stockholmer Polizeihauptquartiers 225 Meter Akten an, daneben 3600 Bände an Zusatzmaterial. Es wurden 10.000 Zeugen vernommen und 8.000 Spuren untersucht. Insgesamt zirkulieren mindestens ein halbes Dutzend Theorien über den Mord. Die RAF wurde für die Tat verantwortlich gemacht, die PKK, vom CIA und dem KGB gar nicht zu reden. Der Fall entwickelte sich zu einem der Lieblingsexerzierplätze für Verschwörungstheoretiker aller Art. Der Mord bleibt eines der größten ungelösten Rätsel der Kriminalgeschichte. Es war das schwedische Watergate. (Bürogebäude, Regeringsgatan)